Chemie II, 1989

Chemie II, 1989, Hans  Danuser

Hans Danusers komplexer und langjähriger Prozess, sich mittels der fotografischen Dokumentation diversen Produktionsweisen unserer Kultur zu widmen, findet seinen Niederschlag im Werkkomplex In Vivo (1979-1989). Während 10 Jahren sucht der Künstler als visueller Berichterstatter in die gut abgeschirmten Bereiche der Wissenschaft und Wissensanreicherung Zugang zu erhalten und diese oft tabuisierten, zwiespältigen, visuell schwer oder kaum fassbaren Inhalte unserer Zivilisation in Bildern festzuhalten. Neben der Auseinandersetzung mit der Raffinierung von Rohgold zu Feingold, der Anatomie- und Pathologie-Abteilung in der Medizin, beschäftigt sich Danuser in Chemie II, dem letzten Teil des Werkkomplexes In Vivo mit der biochemischen Forschung (Genforschung, Biotechnologie) im Bereich der Pharmazeutik und Agrarwissenschaft - Forschungsbereichen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit Wissen und somit auch Macht anreichern. Zusammen mit den anderen Kapiteln Gold, A-Energie, Medizin I, Medizin II, Physik I, Chemie I hat sich der Künstler in zentrale Wertebereiche unseres Denkens und Handelns gewagt. Dabei bleiben nicht wenige dieser wissenschaftlichen Prozesse, wie Embryonen einfrieren oder Bakterien züchten, kaum sichtbar. Vielmehr sind es Spuren erfolgter Prozesse, die auf etwas hinweisen oder vermuten lassen, was ebenso Danusers Umgang mit der Kamera beeinflusst. In diesem Sinne hat sich Danuser gefragt, ob Sichtbares wirklich ist und was Sichtbares zeigen kann. Dennoch ist Danusers erster Schritt der Zugang zum Motiv und das klassische fotografische Dokumentieren in Schwarzweiss. Nach näherer Betrachtung wählt der Künstler bestimmte Ausschnitte, um sie zu vergrössern und den Möglichkeiten der chemischen Prozesse oder technischen Kniffe entsprechend in der Dunkelkammer weiter zu bearbeiten. Betrachtet man die fotografische Bilderserie, so fasziniert das malerische Chiaroscuro, der Glanz in dunklen Tonalitäten, helle Staccati, Licht und Reflexionen, Allover-Strukturen auf graphitartigen Oberflächen. Festgehalten wird somit weniger das Inhaltliche als Zeuge des Gesehenen als vielmehr Atmosphären in einer Ambivalenz zwischen Dokumentation und Bildhaftigkeit. Die perspektivische Ordnung löst sich zusehends auf. Die Bilder sind ohne Aussicht und haben kaum Bezug zu Stand- und Fluchtpunkt. Was den Künstler interessiert, ist das Gestalten von Bildern, das Verdichten von Sinneseindrücken zu einem Bild, um Unsichtbares in einer gewissen Form zu visualisieren, was in Chemie II am radikalsten vorangetrieben wird. Die 12 Fotografien zeigen, will man sie in Realitäten fassen, eine erstarrte Ansammlung von Eiswürfeln, Wabenstrukturen, Wassertropfen, gefrorene Oberflächen, eine Ultraschalleinsicht auf die Fläche gebannt. Die Aufnahme des Ultraschallbildes ab Monitor, die das Innere eines Menschen in digitalisierte Strukturen zu einem Interpretationsfeld, bestehend aus verschiedenen Zeichen oder Strukturen machen, bildet letztendlich nichts mehr ab. Die Fotografien lassen durch das Eindringen ins Innere des Menschen weniger Existenz erkennen als Gesetze oder Strukturen, die der Mensch sich angeeignet hat, deren er sich bedient, um sie nach seinem Willen weiter zu formen. Mit den Worten Urs Stahels: „Schöpfung und Vermehrung von Wissen und Geld, mit dem Ziel, mehr Macht über das fremde Andere, die Natur, die Krankheit, den Tod - und über den nächsten Anderen, den Menschen zu gewinnen. Das Neue und für viele Erschreckende daran sind die Mittel, welche die zeitgenössische Forschung der Welt in die Hände gibt."

www.hans-danuser.ch

 

EMJ

 

 

 

Künstler
Hans Danuser
Gattung
Fotografie
Material
s/w Fotografie auf Silberbromidpapier
Masse
49,6 x 39,8 cm
Standort
Depot
Inventarnummer
F 2003.210
Credits
Schenkung Stiftung Kunst Heute 2003
Provenienz
Ankauf 1990 beim Künstler
Ausstellungsgeschichte

Die Fotografien Chemie II werden vom Kunstmuseum Bern im Rahmen der thematischen Ausstellung Eiszeit - Kunst der Gegenwart aus Berner Sammlungen im Jahr 2000 und in der Sammlungsausstellung Don't Look Now Die Sammlung Gegenwartskunst, Teil 1, 2010/11 präsentiert.

 

Literatur

Weitere Infos