Zwei weisse Punkte, 1983
Rolf Winnewisser sieht im grossformatigen Bildtuch Zwei weisse Punkte eine Werkgruppe in sich, da es die Summe vorangegangener Werke in sich trägt, aber auch zugleich einen Neuanfang bedeutet, indem es eines der ersten Werke grösseren Formats darstellt: ein Bild voller Zeichen, Linien, ineinander gefügte Gebilde, Gedachtes als Situationen, begonnene Erzählungen, zusammen mit schattenartigen, transparenten Flächen, die bis hin zum Dinosaurierschatten - „eine Gedankenfigur, ein Wesen, das existiert hat, gleichzeitig aber auch eine Projektion... ein Urbild, eine Art virtuelles Bild ohne Körper, ein Hauch" (R.W.) - anwachsen. Linien und Flächen, die ungreifbare Wesen und Situationen umschreiben. Der Künstler sucht seine Gedanken und Erinnerungen auszulegen in einem Stilwollen, wie dies in den frühen 1980er Jahren von mehreren Künstlern in seinem Umfeld zeichnerisch gedacht wurde. Zeichnen und Malen wie Denken, demzufolge wird ein Gedankengang auch unterbrochen oder unterbricht sich selbst, unterwegs sein und nie genau die Richtung kennen, die Richtung verlieren, den Anschluss verlieren und ihn plötzlich wieder finden, als Abbild unserer Möglichkeiten zu denken und Bewusstheit zu übermitteln - eine Bildübermittlung innerer Prozesse, die nicht nur den Maler, sondern auch den Betrachter betreffen. Es ist eine zeichnerische Suche, die auf Entwicklung und Entdeckung drängt und schliesslich Verdichtung finden soll.
Betrachtet man das Werk auf grosser Stoffplane, so erkennt man auf den ersten Blick keine wohl komponierte Gestaltung. Vielmehr erscheint es, als ob im Umfeld eines grossen schablonenartigen, aquarellierten Dinosauriers sich einzelne Szenen ereignen, Bildzeichen und Bildbedeutungen und Transformationen mit der Frage, wie sie gelesen werden sollen. Dabei soll die Leseart des Betrachters eigene Freiheiten besitzen und sich von nicht vorgegebenen Strukturen und Interpretationen leiten lassen, so Winnewisser. Sogar Missverständnisse sind für den Künstler eine Art Geschenk: „In der Verkennung der Zeichen funktioniert Kommunikation" sagt er. Die Bilder sollen somit nicht eindeutig sein, Unmissverständlichkeit ist ihm fremd. Seine Bilder sind denn auch keine bildnerischen Problemlösungen, als vielmehr Stolpersteine, die irritieren oder erstaunen dürfen, wie sich die Dinge auf dem Bild in Bewegung halten und das, was längst verstanden war, nicht mehr verständlich ist. „Es ist der Einstieg nach einer Zeit von Beobachtungen, von Zeichnungen, von Sammelsurium. Ein Ausbreiten auf einer Fläche mit kuriosen, unvorhergesehenen Begegnungen, Bezügen von Dingen. Die Linien bilden untereinander ein Gewebe, das sich entwickelt, die Flächen formen ihr eigenes Muster. Präzises wechselt mit sachten Auflösungen ab." (R.W.). Es findet sich weniger der Wurf im Vordergrund, als vielmehr das Trennende, Dazwischenliegende, Dualismen und Polaritäten, die es in der Gesamtheit der Komposition auszuhalten haben. Einzige stille Fixpunkte Zwei weisse Punkte, die fast unbemerkt, doch ungemein wichtig, die Komposition im Lot halten.
EMJ