Beine, 1997
Marianne Müllers Fotografien erzählen von ihrem Leben und der Charakter ihrer Bilder ist jener eines Tagebuches: Es sind intuitiv, in unprätentiöser Weise geschossene Bilder aus ihrer nächsten Umgebung, die von der Aura des Absichtslosen und zugleich Ungewohnten gezeichnet sind - ein Kleid in der Badewanne, Wäsche auf dem Boden, zerwühlte Bettlaken, ihr Arm, der aus dem frisch bebügelten, weissen Hemdsärmel stösst, ihr Schlüsselbein oder Nacken hell und dunkel, ihre Oberschenkel, die aufragen und sich aneinander lehnen, ihr Schoss, der verhüllt und sich zugleich zeigen will, ihr Oberkörper in einem nassen Kleid...
Der Körper erscheint fragil, schutzlos, selbstvergessen, skulptural, im Moment festgehalten und den Blicken ausgesetzt, nun für den Anblick bestimmt. Marianne Müllers Interesse gilt dem Übergang vom Privaten ins Erotische, zum Öffentlichen und Allgemeingültigen.
Aus dem immensen Archiv aus Alltagsbildern, die mit absichtslosem Blick eingefangen wurden, werden Bilder ausgewählt und immer wieder neu arrangiert, sei es in installativen Hängungen im Innenraum, im Kontext eines Buches oder einer Edition. Zugleich können die Bilder als autonome Werke für sich bestehen, wie bei Rotes Kleid (nass), Bein, Gesicht (Gegenlicht) oder Ärmel. Sie, die absichtslos das Alltägliche dokumentieren und allmählich zum Sujet heranführen, verstehen sich als allgemeingültige Formgebung und Ausdruck einer sinnlichen Intimität. „Es geht der Künstlerin nicht um sie selbst, sondern um Wahrnehmung, um Präsenz, um die Aufhebung der klassischen Trennung von Subjekt und Objekt, um das Fragment und die Dimension der Grösse, um Berührung und den Einbezug des Betrachters, der die Bilder für sich selbst deuten muss." (Kathleen Bühler)
EMJ