Leben & Werk Pipilotti Rist

Pipilotti Rist
* 1962 im Rheintal
lebt und arbeitet in Zürich

 

Die gebürtige Rheintalerin Elisabeth Charlotte Rist studiert nach Abschluss der Kantonsschule von 1981-1985 Gebrauchs-, Illustrations- und Fotografik an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien und nennt sich fortan Pipilotti. Von 1986-88 besucht sie, gemeinsam mit der St. Gallerin und damaligen Weggefährtin Muda Mathis, die Klasse für die Audiovisuelle Gestaltung bei René Pulfer in Basel. Von 1988–1994 ist sie Mitglied der Performance- und Musikgruppe Les Reines Prochaines. Bereits früh kann Pipilotti Rist in den beginnenden 1990er Jahren zweimal das Eidgenössische Kunststipendium und in der Folge 1994 den Manor Kunstpreis entgegennehmen. Seit 1993 ist sie regelmässig mit Arbeiten an der Biennale von Venedig vertreten und vertritt 1997 dort erstmals die Schweiz. 2005 bespielt sie die Kirche San Staë in Venedig. Es folgen Ausstellungen in zahlreichen renommierten Museen und Galerien auf der ganzen Welt, wobei die Künstlerin mit ihrem Werk – Video / Videoinstallation, digitale Fotomontage / Computerkunst, Performance, Objektkunst, Installation, Kunst am und im Bau / Kunst im öffentlichen Raum – nationales und internationales Renommee erlangt. Seit 2003 trägt Pipilotti Rist den Professorentitel der Universität der Künste in Berlin. Mit ihren wegweisenden Arbeiten hat sie nicht nur Videogeschichte geschrieben, sondern ebenso nachfolgende Generationen von Kulturschaffenden geprägt. 2014 erhält die Künstlerin den Prix Meret Oppenheim.

 

Pipilotti Rists lustvoller und unbekümmerter aber auch anarchischer Umgang mit dem Medium Video und der Populärkultur des Fernsehens folgt in der Videogeschichte auf eine medienkritische Haltung und auf phänomenologische Refexionen über das Medium. Entsprechende Auseinandersetzungen hat die junge Künstlerin nicht nur bei den Pionieren kennengelernt, sondern auch bei Lehrern und Vorbildern im Basler Umfeld, wie René Pulfer und Anna Winteler. Die Welt des populären Massenmediums TV ist Rists Inspirationsquelle, die sie nicht nur für ihre Videos beansprucht, sondern auch im Objekt, das Bilder und Töne ausstrahlt.  Dieses wird zu Videoskulpturen, -objekten oder Installationen weiterentwickelt. Die spielerische Art, den TV-Kasten mit flimmernden und verschwommenen, malerischen Bilderfluten als Teil eines Objektes, Gebildes oder in einem räumlichen Ambiente zu integrieren, wurzelt im Werk des Vorbildes Nam June Paik. Wichtig ist Rist, wie bei Paik und seinen Mitstreiter/innen, die performative und experimentelle Auseinandersetzung mit dem Medium.
Die Welt der Sinne und des Körperlichen kennt bei Rist kaum Grenzen. Ihre An- und Einblicke in Mikro- und Makrokosmos sind nicht selten schwindelerregend. Durch fehlerhafte oder gestörte Bilder, Bildverfremdungen und assoziative Gestaltungen, die sie von und durch betörende Töne und Musik begleitet und strukturiert, sucht die Künstlerin dem Wesen und somit dem Unbewussten des Menschen, seinen Empfindungen und Gefühlen näher zu kommen, ohne dabei das Verführerische, das Kitschige und Unterhaltsame zu meiden – im Gegenteil.
Rists frühe Videos, wie I’m Not The Girl Who Misses Much, 1986, oder Entlastungen (Pipilottis Fehler), 1988, bringen diese Haltung – die Auseinandersetzung mit dem Medium und der subjektive, ironische aber auch existentielle, nicht selten performative Einbezug der Künstlerin – bereits nachhaltig zum Ausdruck. Dabei ist ersteres unter anderem auch eine der eindringlichen Hommagen an ihr grosses Idol John Lennon.
Stets beschäftigt sich die Künstlerin mit der Präsentation ihrer Werke. So laden anlässlich ihrer Ausstellung in der Shedhalle Zürich, 1992, grosse, farbig gestrichene, in den Raum greifende Dreieckspyramiden
Eine Spitze in den Westen – ein Blick in den Osten dazu ein, ein Video als Teil des Projektions- und Sehraumes zu erfahren.
In der Galerie STAMPA in Basel inszeniert die Künstlerin 1993 ein Boudoir, in welchem sich verschiedene Objekte – Bettchen mit Plastikspielball, Schminktischchen mit allerlei bunten Wässerchen, aufgehängtes Badekleid – mit integrierten Monitoren zu einem weiblichen Environment vereinen, das von spielerischer Leichtigkeit und zärtlichem Humor gezeichnet ist. Pipilotti Rists feministische Haltung ist Selbstverständlichkeit, die mit sinnlicher Tuchfühlung ihre Arbeiten prägt.
Der
Pickelporno, 1992, der mit dem Zürcher Filmpreis geehrt wird, ist der Wurf, der die Künstlerin in alle Munde – zumindest im Bereich der Kultur – bringt. Weibliche Erotik, Lust, Körperlichkeit und Intimität jenseits jeglicher Tabuzonen werden aus verschiedensten Perspektiven und Einsichten, begleitet von Tönen und Gesängen, von der Kamera nicht nur aufgenommen, sondern geradezu mitempfunden und vermittelt.

Die Auseinandersetzung mit dem Raum, dem Objekt und Möbelstück sowie der Architektur intensiviert sich in den folgenden Jahren. So gestaltet die Künstlerin zusehends ganze Reiche, sprich Environments, und Architektur.
Als künstlerische Direktorin der Schweizerischen Landesausstellung, für welche sie von 1997-1998 wirkt, wird sie endgültig zur bekanntesten Gegenwartskünstlerin der Schweiz. Trotz ihres vorzeitigen Rücktritts - die EXPO wurde unter der Regie von Martin Heller um ein Jahr verschoben – ist die EXPO.02 in ihrer Struktur und Atmosphäre massgeblich von ihrem Denken geprägt. Mit Selbstverständlichkeit fordert sie nicht nur in diesem Kontext, aber auch in ihrem eigenen Werk eine Öffnung und Verständlichkeit für das breite Publikum. Ihre Präsenz am Times Square in New York mit dem verstörenden, ja schmerzhaften Video Open My Glade, 2000, wo sich die Künstlerin an einer Scheibe/am Monitorbild die Schminke abschmiert sowie die Nase, Backen und Mund platt drückt, spricht Bände.

Im Schweizer Umfeld gestaltet die Künstlerin 2005 bei der Raiffeisen in St. Gallen auf einer Fläche von über 4'000 m2 eine beleuchtete rote Stadtlounge, mit Betten, Bänken, Tischen und Brunnen.
2009 erscheint ihr erster Spielfilm Pepperminta.

2012 widmet ihr das Kunstmuseum St. Gallen unter dem Titel Blutbetriebene Kameras und quellende Räume eine Einzelausstellung, wo frühe Werke wie auch jüngste Inszenierungen zu sehen sind. Der Titel spricht, wie immer bei Pipilotti Rist, in unmittelbarer Weise Bände. Blut, Menstruationsblut – immer noch Tabu in der Öffentlichkeit – ist in nicht wenigen Arbeiten der Künstlerin ein sinnliches Erlebnis. Ganze Flüsse des „ehrenwerten Saftes“ strömen durch ihre stark farbigen Bilder. Die Räume überquellen von den mit präziser Technologie gesteuerten rauschhaften Bildern in Sphären unter Wasser und aus den Tiefen der Landschaften. Sie sind gezeichnet von utopischer Naivität. Betrachtet werden sie je nachdem, liegend sitzend, knieend, mit dem Kopf durch ein Loch, solitär oder in der Gemeinschaft. Die Aufgabe der Kunst sei es, zur Evolution beizutragen, sagt die Künstlerin, den Geist zu ermutigen, einen distanzierten Blick auf soziale Veränderungen zu garantieren und positive Energien zu beschwören, Möglichkeiten auszuloten und Klischees und Vorurteile zu zerstören.
Augapfelmassage –
Eyeball Massage, so auch der Titel ihrer umfangreichen Retrospektive 2011/12 in der Hayward Gallery in London und der Kunsthalle Mannheim – nennt Pipilotti Rist das Eintauchen und Erfahren ihrer Raum- und Bilderwelten, in welchen alle Sinne der Betrachter angesprochen und Massstabs- sowie Orientierungssinn ausser Kraft gesetzt werden.

www.pipilottirist.net

Viele Videos sind vom Atelier Rist auf Youtube.com gestellt.

Die Künstlerin wurde von der Galerie STAMPA, Basel vertreten, nun von der Galerie Hauser & Wirth, London.

 

Esther Maria Jungo

Werke sortiert nach Titel ↓JahrGattung

Bild Informationen Beschreibung

Pipilotti Rist

Marina

1994

Videoobjekt: 1 Betacam SP Dub-Master Kopie (Farbe, mit Ton), 1VHS- Player, 1 LCD Aktiv Matrix Farbmonitörchen inkl. kleiner Lautsprecher und Transförmerchen, umgebaut in 1 Muschel, auf Samtkissen auf Ständer

Masse "Dauer: 6'45"" (loop) ca. 99, 0 cm (Höhe) ca. 42,0 cm (Durchmesser)"

Videoobjekt

Marina gehört zur Werkreihe From the Yoghurt on Skin  - Velvet on TV, in der Pipilotti Rist kleine Monitore in je 3 Muscheln und 3 Handtäschchen legt, die ein glucksendes, zirpendes, bunt sprühendes Eigenleben führen und die Betrachter zu Nahsicht verführen. Marina ist die... [ Weiter ]

Pipilotti Rist

Eindrücke verdauen (Magenendoskopiefahrt)

1993

Video (1 Betacam SP Dub-Master-Kopie, ohne Ton), 1 VHS-Player, 1 s/w Kugelmonitor, 1 gelbes Badekleid und Mäschchen

Masse "Dauer: 7'53"" (looped) 28,0 cm (Höhe Kugelmonitor) 73,0 x 40,0 cm (Badekleid)"

Videoobjekt

Das oft zitierte und präsentierte Videoobjekt Eindrücke verdauen ist ein Frühwerk der Künstlerin. Geschaffen wurde es ein Jahr nach dem viel diskutierten Pickelporno. Anmutig von der Decke hängend, findet sich ein zitronengelbes Badekleid. Im gewölbten Unterleib verbirgt sich ein Kugelmonitor. Dessen ... [ Weiter ]