Leben & Werk Thomas Hirschhorn

Thomas Hirschhorn
*1957 Bern
lebt und arbeitet in Paris

Thomas Hirschhorn besucht von 1978-1983 die Grafikfachklasse in der Schule für Gestaltung in Zürich. Gleich im folgenden Jahr übersiedelt er nach Paris, wo er erstmals Objekte, die Lay-outs, im öffentlichen Raum - auf Trottoirs, am Strassenrand, in Unterführungen, vor seinem Haus, zwischen Strassenmalern, in Treppenhäusern - als Zeichen zurücklässt oder den Passanten verteilt. Seit Mitte der 1990er Jahre erlangt Thomas Hirschhorn mit seinem Schaffen - Collagen, Installationen, Assemblagen und Videos - nationales und schliesslich internationales Renommee und stellt im Rahmen bedeutender Veranstaltungen zur Gegenwartskunst sowie in gewichtigen kulturellen Institutionen aus. Mit der Wahl Christoph Blochers in den Bundesrat im Jahr 2003 will der Künstler, der sich als solitärer „travailleur-artiste-soldat" (Avignon, 2000) bezeichnet, nicht mehr in der Schweiz ausstellen und so sein politisches Statement noch verstärkt betonen (öffentliche Stellungnahme publiziert im Kunst-Bulletin 2004, 1/2), was sich anlässlich seiner von der Pro Helvetia finanzierten Ausstellung im Centre Culturel Suisse in Paris (2004) zu einem Skandal weiterentwickelt. Seit der Abwahl Blochers findet man Hirschhorns Werk wieder in Schweizer Ausstellungen.

Das politische Selbstverständnis des wegweisenden kommunistischen Grafikerkollektivs Grapus (1970-1991) überzeugt den jungen, in der Grafik ausgebildeten Hirschhorn. Er übersiedelt nach Paris und schliesst sich der französischen Gruppe an. Im gleichen Sinne wie Grapus will Hirschhorn den Beruf des Grafikers in keiner Weise in den Dienst eines kommerziellen Unternehmens stellen, als vielmehr mit den Möglichkeiten der visuellen Gestaltung in autonomer und direkter Weise in der Gesellschaft wirken und dabei den Formalismus der Moderne in Frage stellen. Seit 1986 arbeitet Hirschhorn in autonomer Weise und nun unabhängig von Grapus, in Abwendung von der handwerklichen und wohlgestalteten (Schweizer) Tradition, in einer Trash-Ästhetik. Er bevorzugt eine Ästhetik des Trivialen mit poveren Alltagsmaterialien, die an schäbige Drittwelt- oder grossstädtische Bettlerunterkünfte gemahnen. In diesem Sinne sind auch seine ersten fragmentierten Werkstücke, die Lay-outs (ab 1993) zu sehen, bei welchen er Kartonstücke und Holz- oder Styroporfragmente mit unterschiedlichen, ausgewählten Druckmaterialien, Strukturen und Zeichen beklebt und diese in einer Art Auslegeordnung auf einem textilen Werkstoff auf dem Boden präsentiert. Weitere Präsentationsmöglichkeiten finden sich aufeinander gestapelt an der Wand oder angeordnet auf Tischen. Ab Mitte der 90er Jahre greifen seine vom Einzelnen bis ins Umfassende weiterführenden Collagen intensiver in den Raum bis hin zur Überwältigung des Raums. Sogenannte Monumente, Altäre, Kioske und Buffets werden zusehends zu raumgreifenden, skulptural wirkenden Gebilden oder architektonischen Strukturen weiterentwickelt. Der Umgang mit wertlosen, doch zugleich utilitären Alltagsmaterialien, wie Pariser Kehrichtsäcke, Klebeband, Silber- und Plastikfolie, Karton, Zeitungs- und Illustriertenpapier und Holz, aber auch Fotokopien, Wattestäbchen, Getränkedosen, Schaufensterpuppen, CD- und DVD-Träger, Spiegel, Plastikstühle, ausgediente Pneus und weiterer Ballast unserer Konsumwelt, die er für seine Collagen und Montagen benötigt, zeichnet seinen Stil aus. Dieser Fetischismus erteilt dem Erhabenen eine klare Abfuhr. Dadurch, dass er ausschliesslich überall vorhandenes, zeitgenössisch ökonomisches Material benötigt, das keinerlei Mehrwert generiert, gibt er seinem Werk eine politische Dimension: Energien sind Hirschhorns Thema, die durch ihre Brisanz und widerständige Kraft das Werk im Dialog politisch werden lassen, getrieben vom Zwang, tagtäglich zu schaffen, im Wissen, dass er zwar die Welt nicht verändern, doch zumindest sich immer wieder von Neuem schonungslos und beharrlich mit ihr auseinandersetzen kann. Die Kunst ist in dieser Konfrontation mit der Realität ein Werkzeug. Zugleich widersetzen sich seine Arbeiten dem Besitz und erheben keinen Anspruch auf Gültigkeit oder Ewigkeit.

Thematischer Ausgangspunkt von Hirschhorns Kunst sind entweder kritische Auseinandersetzungen mit dem Zeitgeschehen (Identität, Demokratie, Globalisierung, Medialisierung, Migration, Krieg, Grausamkeit, Verletzlichkeit, Ohnmacht, Ausgesetztsein etc. in Werken wie Swiss Army Knife, Swiss-Swiss Democracy, Crystal of Resistance u.a.) oder die Honorierung ausgewählter Persönlichkeiten, die in unserer Gesellschaft Bedeutendes gedacht, gewirkt und geschaffen haben (Meret Oppenheim, Ljubow Popowa, Ingeborg Bachmann, Emmanuel Bove, Fernand Léger, Emil Nolde, Robert Walser, Georges Bataille, Baruch Spinoza, Gilles Deleuze, Antonio Gramsci). Hirschhorns Auseinandersetzungen, die von einem politisch-sozialen Engagement gezeichnet sind, die der Künstler als existentiell betrachtet und erlebt, werden begleitet und erläutert von Schriftzügen (Schautafeln, handschriftliche Notizen, Zitate, Anmerkungen), Sekundärtexten und Videoarbeiten. Bei den Videoarbeiten bevorzugt Hirschhorn den simplen und mittlerweile ausgedienten Monitor statt der Projektion, die unprätentiöse Ansicht eines fortlaufenden Geschehens statt der ausgeklügelten Konzeption in der Abfolge von präzis ausgewählten Bildern. Seit 2000 geht Hirschhorn (unter anderem mit seinen Kiosken für die Universität Zürich-Irchel, später mit seinen Monumenten an ausgewählte Persönlichkeiten) vermehrt wieder auf die Strasse oder an ausgewählte Orte des öffentlichen Raums. Die Verklärung und Auratisierung im Museumskontext ist ihm zuwider. Im öffentlichen Raum soll sein von Anbeginn an vergänglich konzipiertes Werk mit dem Betrachter der Strasse und den Bewohnern des Ortes konfrontiert und von diesen ebenso als Treffpunkt, Ort zur Information, Reflexion und Weiterbildung (Internetzugang, Bibliothek, Videothek) genutzt werden können und mittels Präsenz, Inhalten und Funktionen einen neuen Begriff des Denkmals einführen, bei welchem dem gemeinsamen Alltagsleben, der Begehbarkeit und der Interaktion eine entscheidende Bedeutung zukommt. Einem breiteren Kunstpublikum bleibt Hirschhorns Arbeit anlässlich der documenta 11 2002 in Kassel mit seinem Monument an Georges Bataille in Erinnerung, das sich weitab des angestammten Kunstparcours' in einem multikulturellen Wohnquartier niedergelassen hat. Der Künstler selber ist Hausmeister seines Projektes, wohnt in der Siedlung und betreut den Aufbau, die Gemeinschaft und den Abbau.

Den Schweizer Bürger/innen und vorab Politiker/innen ist Hirschhorn seit seiner Ausstellung Swiss-Swiss Democracy im Centre Culturel Suisse in Paris im Jahre 2004 ein Begriff geworden. Diese Affäre als Musterbeispiel für die Instrumentalisierung von Kunst über ihre Skandalisierung wird aufgrund pressewirksamer Effekthascherei (ohne verifizierenden Ausstellungsbesuch der Entscheidungsträger) zu einer Parlamentsdebatte im Ständerat, die eine Millionenkürzung im Budget der Pro Helvetia mit sich bringt. So wird augenfällig, dass Geld zu einer Form von Zensur in einer demokratischen, kapitalistischen Gesellschaft geworden ist und die Politik den Primat in der Behandlung gesellschaftlich relevanter Fragen für sich beansprucht. An der Biennale Venedig nimmt der exilierte Schweizer mehrfach teil. 2011 vertritt er mit seiner Installation Crystal of Resistance im Schweizer Pavillon sein Heimatland.

Seit den frühen 90er Jahren ist Hirschhorns Werk in der Schweiz sowie international in bedeutenden Institutionen zu sehen. Das Werk des enfant terrible, wie er gerne in der Presse betitelt wird, findet sich in renommierten Sammlungen im In- und Ausland.

 

Esther Maria Jungo

 

 

Werke sortiert nach TitelJahrGattung ↑

Bild Informationen Beschreibung

Thomas Hirschhorn

Collage-Truth No 37

2012

print media, transparent scotch tape, transparent plasic foil

Masse 36,5 x 42,5 cm

Collage

Der Themenkomplex und das Medium der Collage beschäftigt Hirschhorns Werk immer wieder von neuem in unterschiedlicher Konfiguration und verschiedenen Ausdrucksformen. Die Verknüpfung von Pressebildern, Archivbildern und gefundenen Bildern aus dem Zeitgeschehen sowie Bildern aus Mode- und Lifestylemagazinen mit eigenen, handgeschriebenen Kommentaren, wie in seinem... [ Weiter ]

Thomas Hirschhorn

Collage-Truth No 41

2012

print media, transparent scotch tape, transparent plasic foil

Masse 24 x 45 cm

Collage

Der Themenkomplex und das Medium der Collage beschäftigt Hirschhorns Werk immer wieder von neuem in unterschiedlicher Konfiguration und verschiedenen Ausdrucksformen. Die Verknüpfung von Pressebildern, Archivbildern und gefundenen Bildern aus dem Zeitgeschehen sowie Bildern aus Mode- und Lifestylemagazinen mit eigenen, handgeschriebenen Kommentaren, wie in seinem... [ Weiter ]

Thomas Hirschhorn

Collage-Truth No 45

2012

print media, transparent scotch tape, transparent plasic foil

Masse 45 x 46,5 cm

Collage

Der Themenkomplex und das Medium der Collage beschäftigt Hirschhorns Werk immer wieder von neuem in unterschiedlicher Konfiguration und verschiedenen Ausdrucksformen. Die Verknüpfung von Pressebildern, Archivbildern und gefundenen Bildern aus dem Zeitgeschehen sowie Bildern aus Mode- und Lifestylemagazinen mit eigenen, handgeschriebenen Kommentaren, wie in seinem... [ Weiter ]

Thomas Hirschhorn

Collage-Truth No 68

2012

print media, transparent scotch tape, transparent plasic foil

Masse 27 x 51,5 cm

Collage

Der Themenkomplex und das Medium der Collage beschäftigt Hirschhorns Werk immer wieder von neuem in unterschiedlicher Konfiguration und verschiedenen Ausdrucksformen. Die Verknüpfung von Pressebildern, Archivbildern und gefundenen Bildern aus dem Zeitgeschehen sowie Bildern aus Mode- und Lifestylemagazinen mit eigenen, handgeschriebenen Kommentaren, wie in seinem... [ Weiter ]

Thomas Hirschhorn

Collage-Truth No 81

2012

print media, transparent scotch tape, transparent plasic foil

Masse 40,4 x46,5 cm

Collage

Der Themenkomplex und das Medium der Collage beschäftigt Hirschhorns Werk immer wieder von neuem in unterschiedlicher Konfiguration und verschiedenen Ausdrucksformen. Die Verknüpfung von Pressebildern, Archivbildern und gefundenen Bildern aus dem Zeitgeschehen sowie Bildern aus Mode- und Lifestylemagazinen mit eigenen, handgeschriebenen Kommentaren, wie in seinem... [ Weiter ]

Thomas Hirschhorn

Collage-Truth No 82

2012

print media, transparent scotch tape, transparent plasic foil

Masse 40,5 x 47,5 cm

Collage

Der Themenkomplex und das Medium der Collage beschäftigt Hirschhorns Werk immer wieder von neuem in unterschiedlicher Konfiguration und verschiedenen Ausdrucksformen. Die Verknüpfung von Pressebildern, Archivbildern und gefundenen Bildern aus dem Zeitgeschehen sowie Bildern aus Mode- und Lifestylemagazinen mit eigenen, handgeschriebenen Kommentaren, wie in seinem... [ Weiter ]

Thomas Hirschhorn

Buffet

1995

"236 Arbeiten aus der Serie 'Danke, Thank you, Merci', Kugelschreiber, Zeitungsausschnitte und Collagen auf Wellkarton, teils mit Plastikfolie umwickelt und rückseitig mit Klebeband befestigt; 15 gelbe Leinentücher"

Masse ca. 230 x 600 x 200 cm

Installation

Wie Hirschhorn in den Erläuterungen zu seinem Biennale-Auftritt im Schweizer Pavillon darlegt (2011), stellt er seine Arbeit in ein Kraftfeld von LIEBE, PHILOSOPHIE, POLITIK, ÄSTHETIK, wobei LIEBE und PHILOSOPHIE zu den lichten Teilen gehören, POLITIK und ÄSTHETIK zu den Schattenseiten. Beide Seiten machen das Form- und Kraftfeld dieser Existenz aus. So gesehen setzt sich... [ Weiter ]

Thomas Hirschhorn

Lay-out

1993

97 Teile, davon 4 aus Holz, 91 aus Karton, 2 aus Styropor, braune Wolldecke

Masse 195 x 153 cm

Installation

Thomas Hirschhorn beginnt mit seinen Lay-outs in den frühen 1990er Jahren. Auf rechteckige, verschieden breite und lange, zum Teil bereits bedruckte oder angerissene Holz- und Karton- und Styroporstücke klebt der Künstler verschiedenste Elemente: rechteckige Strukturen oder unterschiedlich farbige und dicke Klebebänder, mit denen er nach scheinbar... [ Weiter ]

Thomas Hirschhorn

Lay-out «Ikea»

1993

4 Teile, davon 2 aus Spanplatten, 2 aus Karton, orangefarbenes Baumwolltuch

Masse 245 x 148 cm

Installation

Thomas Hirschhorn beginnt mit seinen Lay-outs in den frühen 1990er Jahren. Auf verschieden grosse, rechteckige Holz- und Kartonstücke, die derselben klaren Ordnung entsprechend auf ein orangefarbenes Baumwolltuch gelegt werden, klebt der Künstler verschiedenste Druckmaterialien: Illustrationen aus Zeitungen, verschieden farbige und dicke... [ Weiter ]