Leben & Werk Peter Fischli / David Weiss

Peter Fischli
*
1952 in Zürich
lebt und arbeitet in Zürich

David Weiss
* 1946 in Zürich
† 2012 in Zürich

Peter Fischli wird als Sohn des bedeutenden Architekten, Bildhauers und Malers Hans Fischli in einem von Kunst gesättigten Milieu geboren, in dem die Grundgedanken und die Ästhetik des Bauhaus' vertreten werden. Von 1975-76 studiert Peter Fischli an der Accademia di Belle Arti in Bologna.

Der Pfarrerssohn David Weiss absolviert den Vorkurs der damaligen Kunstgewerbeschule in Zürich und studiert bis 1965 Bildhauerei an der Kunstgewerbeschule Basel. Von 1976 bis 1979 stellt er in verschiedenen Galerien Europas aus und arbeitet unter anderem mit Urs Lüthi zusammen, mit dem er bis 1979 Bücher veröffentlicht.

Die Produktionsgemeinschaft Fischli / Weiss existiert von 1979 bis zum Tod von David Weiss im Jahr 2012. Sie leben und arbeiten in Zürich. Ihr Werk umfasst alle Gattungen und künstlerischen Ausdrucksformen: von der Fotografie zum Film (Video, Super 8 und 16 mm), Skulpturen und Plastiken bis hin zu Multimedia-Installationen und einer stattlichen Anzahl Künstlerbüchern. Sie bedienen sich Gegenständen und Situationen des Alltags, die sie mit spielerischem Humor in einen neuen Kontext oder in eine ungewöhnliche Beziehung zueinander setzen und sich mit philosophischen Fragestellungen einer Welterklärung besonderer Art widmen. Dabei versuchen sie dem Chaos des Alltags Zusammenhänge, eine Ordnung und Sinnhaftigkeit, abzuringen. Ihr Werk besteht vielfach aus Serien, die trotz ähnlicher Strategien und Umgang mit Material und Techniken in sich abgeschlossen wirken. Als erklärte Gegner des Formalismus eignen sie sich bestimmte formale Strukturen für ein bestimmtes Werk an und wählen für weitere Werke wieder eine andere Sprache, wobei sie vornehmlich minderwertige Materialien bevorzugen.

Fischli /Weiss' gemeinsame Arbeit beginnt mit der Wurstserie 1979. Sie besteht aus 10 Farbfotografien, für die das Künstlerduo im Kühlschrank vorgefundene Würste und Wurstscheiben mit weiteren Lebensmitteln, Abfällen und poveren Materialien zu unterschiedlichen Situationen arrangieren, um dabei Alltagsgeschichten zu inszenieren: einen Teppichladen, ein Verkehrsunfall oder eine Modeschau. 1980 produzieren die beiden Antihelden den Super 8-Film (später auf 16 mm übertragen) Der geringste Widerstand: Szenen der Künstler im Bären- und Rattenkostüm spielen im urbanen Ambiente Hollywoods, wobei mit heiterem Ernst die Kunst, Künstlerkarrieren, das Künstlerdasein und das zeitgenössische Leben und dessen chaotische Wirklichkeit thematisiert werden. Im folgenden Jahr findet ihre Ausstellung Plötzlich diese Übersicht in der Zürcher Galerie Pablo Stähli statt. Präsentiert werden über 250 kleine, von Hand modellierte Szenerien aus ungebranntem Ton, die sich mittels rudimentärer Formensprache Alltagssituationen, aber auch bedeutenden Momenten oder Entwicklungen widmen, um eine Übersicht in der Menschheitsgeschichte darzustellen: der Mensch begreift den Nutzen des Feuers, eine Pfahlbauersiedlung, Pythagoras, der zufrieden seinen Lehrsatz bestaunt, aber auch Verbildlichung von Gegensätzen (echt-falsch / vorne-hinten / innen-aussen...) oder Zuständen und Ikonen der Gegenwart: ein Autobahnstück, die moderne Siedlung etc. Bereits bei diesen frühen Werken, die den Grundstein ihrer Karriere bilden, findet sich ein ausgeprägter Spieltrieb, der sich mit hinterlistigem Humor der Fülle des Lebens widmet. Das Alltägliche, Profane, die fast schmerzhafte Banalität verbindet sich mit dem Tiefgründigen der menschlichen Existenz.

Der rechte Weg, der zweite Film des Duos als Bär und Ratte, wird 1983 realisiert. Ratte und Bär begeben sich auf Wanderschaft in freier, sozusagen unberührter Natur. Den Elementen, vielerlei Wundern und vor allem sich selbst ausgeliefert, versuchen sie die Erscheinungen und Geschehnisse zu ergründen und den rechten Weg zu finden.
Nach dem frühen plastischen Arbeiten mit Ton widmen sich die Künstler dem leichtgewichtigen Polyurethan, das mit wenig Aufwand geschnitten, mimesisgetreu bearbeitet und bemalt werden kann. Diese Skulpturen bilden mehrheitlich Alltagsobjekte nach. Einige davon haben permanent ihren Platz gefunden, wie die Installation Der Raum unter der Treppe im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt. Präsentiert werden banale Gegenstände des Alltags, die als Ready-made verstanden werden können (eine Abstellkammer unter der Treppe mit Möbeln, Materialien und Werkzeugen im Dienste des Museumsbetriebs), jedoch als Ready-made-Repliken wirklichkeitsgetreu geschnitzt und bemalt werden, sodass sie auf den ersten Blick nicht von ihrem Vorbild zu unterscheiden sind.

Eine Reihe von Fotografien, genannt Equilibres aus dem Werkkomplex Stiller Nachmittag (1985) führen die Beschäftigung mit Alltagsgegenständen in dem Sinne weiter, dass mittels einfachen vorhandenen Objekten (Stuhl, Krug, Flasche, Büchse, Leiter...) für wenige Sekunden fragile Gleichgewichtsgebilde erschaffen werden, die nach dem fotografischen Festhalten wieder in sich zusammenfallen. Internationale Bekanntheit erlangt das Künstlerduo 1987 mit seinem Film Der Lauf der Dinge, der an der documenta 8 mit den minutiös gebastelten Kettenreaktionen, die auf Ursache und Wirkung beruhen, uraufgeführt und zu einem Publikumserfolg wird. Demselben Prinzip des fragilen Moments wird der kontinuierliche Ablauf diverser Verkettungen festgehalten, der unter Ausnutzung grundlegender physikalischer Gesetze wie Schwerkraft, Hebelgesetz etc. und chemischen Reaktionen einen kontinuierlichen laufenden Prozess ermöglichen, wobei das eine Element den Impuls dem nachfolgenden weitergibt.

1988 entstehen eine Reihe trockener, weisser Gipsplastiken, die durch stilistische Vereinfachung und Verkleinerung und die Präsentation auf Sockeln modellhaft zu redlichen Museums- oder Galerienwerken werden: Autos und Frauen. Zur gleichen Zeit (1986-88) erschaffen sie von Alltagsobjekten abgegossene Plastiken aus synthetischem Gummi, die alle in dieselbe Grössenordnung verbannt werden: eine Wurzel, ein Besteckbehälter, ein Sitzpuff, ein Herz, eine Schublade, eine Krähe, ein Haus usw., die mit ihrer überraschenden Banalität einmal mehr irritieren und die Frage nach den Werten unterschiedlicher Dinge stellt. 1992 entsteht das Kanalvideo (eine Montage verschiedener, von der Stadtentwässerung erstellten Kamerafahrten durch das Abwassersystem Zürichs), das, wie oft in den Strategien der Künstler, mit aussergewöhnlicher Einfachheit (eine zentrierte Kamerafahrt durch ein Kanalsystem) eine Vielschichtigkeit im Formalen und Inhaltlichen aufweist und anlässlich ihres Biennale-Auftritts 1995 als Grossprojektion präsentiert wird. Von 1987-2000 entstehen enzyklopädisch anmutende Fotoserien über die sichtbare, doch nahezu menschenleere Welt, die alltägliche Szenen, aber auch ikonenhafte Motive festhalten, wie sie auf Flughäfen (Airports, 1987-99), im Urlaub oder im urbanen, heimatlichen Kontext zu erleben sind. Anlässlich ihres Biennale-Auftritts im Schweizer Pavillon in Venedig (1995) entscheiden sich die Künstler als Jäger und Sammler zu einer Vielzahl Videos, die auf 12 Monitoren bei insgesamt 96 Stunden das unauffällig Besondere im alltäglichen Leben präsentieren, wie wir es allzu gut kennen und erst jetzt wirklich entdecken: unsere Arbeit, Freizeit, der Sport, die Ausflüge und das Reisen - allesamt in ihrer Banalität im Lauf der Dinge verblüffend und mit ihren Einblicken verstörend. Nicht nur das Wahre hat das Künstlerduo thematisiert, ebenso haben sie sich des Guten und Schönen angenommen und sich unter anderem mit der Serie Fragen (bei denen es keine Antworten gibt) und den Fotografien Blumen und Pilze (1997/98) der Herausforderung gestellt, mit zwielichtigen und zugleich einfachsten oder trivialen Fragestellungen und Schönheiten zu verstören. Ihr Leitmotiv bleibt: „Ist es möglich, mit dem Zweifel zu leben und dennoch etwas Relevantes über das Leben wissen zu können?" Die Zweischneidigkeit ist somit eines der tiefgreifendsten Merkmale in ihrem Werk, die auch in ihren Interventionen am oder im Bau sowie im öffentlichen Raum spürbar wird, so in der neuen Börse von Zürich oder, für Bahnfahrer zum Flughafen mehrheitlich bekannt, an der Fassade eines Bürogebäudes mit der Wandarbeit How to work better wie ebenso mit ihren Arbeiten für die Skulptur.Projekte in Münster 1987 und 1997.

Ihre kindliche Kreativität und ihr amateurhafter Einfallsreichtum unterlaufen ästhetische und künstlerische Vorstellungen. Durch ihr Wirken wird regelmässig die Palette künstlerischer Reflexionen von Seiten der Interpreten und Betrachter erweitert und lässt dabei oft auch mit Missverständnissen und Fehlinterpretationen weitere produktive Deutungen für die Rezeption zu.

 

Fischli / Weiss zählen zu den renommiertesten Schweizer Künstlern der Gegenwart, die internationale Ausstrahlung und Bedeutung für sich beanspruchen dürfen. Mir ihrer künstlerischen Haltung und ihrem Werk, das sich das Mittelmass zunutze macht und sich Überhöhungsbestrebungen widersetzt, beeinflussen sie eine Vielzahl Kunstschaffender nachfolgender Generationen.

Fischli/Weiss vertreten die Schweiz mehrfach an der Biennale Venedig (1988/1995/2004) und an anderen internationalen Kulturveranstaltungen, wie die Biennale São Paulo (1989), die documenta (1987/1997), die Skulptur.Projekte in Münster (1987/1997). Sie haben bedeutende Einzelausstellungen in grossen Museen wie in Paris, London, Los Angeles, Köln, Hamburg oder Wien.

Im Zürcher Kunsthaus - mit weiteren Stationen in London (Tate Gallery) und Hamburg (Deichtorhallen) -, findet 2006/7 die Retrospektive Fischli / Weiss: Fragen & Blumen statt. Als Begleitpublikation entsteht ein Buch in enger Zusammenarbeit mit dem Künstlerduo. Es bietet einen umfassenden Überblick über ihr Werk, von unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet durch Texte ausgewählter Kritiker, Kuratorinnen, Philosophen, Künstlerinnen, Cineasten und Poeten.

Ihr Werk wird mit renommierten Preisen ausgezeichnet: Neben dem Eidgenössischen Kunststipendium 1985 und dem Kunstpreis der Stadt Zürich 1994, mit dem Goldenen Löwen an der Biennale von Venedig 2003 sowie dem Roswitha Haftmann Preis 2006 und dem Wolfgang-Hahn-Preis 2010.

Fischli / Weiss werden von der Galerie Eva Presenhuber in Zürich vertreten.

Esther Maria Jungo

 

Werke sortiert nach Titel ↓JahrGattung

Bild Informationen Beschreibung

Peter Fischli / David Weiss

Topf

1984

Polyurethan, Leinwand, Acryl

Masse H 135 cm, ø 200cm

Skulptur

Der grosse Topf mit seinem Durchmesser von 2 Metern und seiner Höhe von 135 cm könnte einige Menschen in sich aufnehmen. Was ist seine Bestimmung? Statt ‚aus gross macht klein', wie im Werkkomplex Plötzlich diese Übersicht, nun ‚aus klein macht gross'. Charakterisiert eine verdrehte Massstäblichkeit den leeren Topf? Handelt es sich... [ Weiter ]

Peter Fischli / David Weiss

Equilibres (aus 'Stiller Nachmittag'): Sicheres Auftreten

1985

s/w Fotografie

Masse Blattmasse: 30,0 x 40,0 cm

Fotografie

Mit einer Reihe von 27 Fotografien, genannt Equilibres, aus der Fotoserie mit dem suggestiv-poetischen Titel Stiller Nachmittag (1984/85) führen Fischli / Weiss die Beschäftigung mit Alltagsgegenständen weiter, indem sie mittels einfachen, bereits von Spuren der Nutzung gezeichneten Objekten (Stuhl, Krug, Flasche, Büchse,... [ Weiter ]

Peter Fischli / David Weiss

Equilibres (aus 'Stiller Nachmittag'): Schulmerschlinge

1985

s/w Fotografie

Masse Blattmasse: 30,0 x 40,0 cm

Fotografie

Mit einer Reihe von 27 Fotografien, genannt Equilibres, aus der Fotoserie mit dem suggestiv-poetischen Titel Stiller Nachmittag (1984/85) führen Fischli / Weiss die Beschäftigung mit Alltagsgegenständen weiter, indem sie mittels einfachen, bereits von Spuren der Nutzung gezeichneten Objekten (Stuhl, Krug, Flasche,... [ Weiter ]

Peter Fischli / David Weiss

Equilibres (aus 'Stiller Nachmittag'): Frau Birne bringt ihrem Mann vor der Oper das frischgebügelte Hemd. Der Bub raucht

1985

Farbfotografie

Masse Blattmasse: 30,0 x 40,0 cm

Fotografie

Mit einer Reihe von 27 Fotografien, genannt Equilibres, aus der Fotoserie mit dem suggestiv-poetischen Titel Stiller Nachmittag (1984/85) führen Fischli / Weiss die Beschäftigung mit Alltagsgegenständen weiter, indem sie mittels einfachen, bereits von Spuren der Nutzung gezeichneten Objekten (Stuhl, Krug, Flasche,... [ Weiter ]

Peter Fischli / David Weiss

Equilibres (aus 'Stiller Nachmittag'): Ehre, Mut und Zuversicht

1985

s/w Fotografie

Masse Blattmasse: 40,0 x 30,0 cm

Fotografie

Mit einer Reihe von 27 Fotografien, genannt Equilibres, aus der Fotoserie mit dem suggestiv-poetischen Titel Stiller Nachmittag (1984/85) führen Fischli / Weiss die Beschäftigung mit Alltagsgegenständen weiter, indem sie mittels einfachen, bereits von Spuren der Nutzung gezeichneten Objekten (Stuhl, Krug, Flasche,... [ Weiter ]

Peter Fischli / David Weiss

Equilibres (aus 'Stiller Nachmittag'): Die Gewerkschaft

1985

Farbfotografie

Masse Blattmasse: 30,0 x 40,0 cm

Fotografie

Mit einer Reihe von 27 Fotografien, genannt Equilibres, aus der Fotoserie mit dem suggestiv-poetischen Titel Stiller Nachmittag (1984/85) führen Fischli / Weiss die Beschäftigung mit Alltagsgegenständen weiter, indem sie mittels einfachen, bereits von Spuren der Nutzung gezeichneten Objekten (Stuhl, Krug, Flasche,... [ Weiter ]

Peter Fischli / David Weiss

Equilibres (aus 'Stiller Nachmittag'): Die Gesetzlosen

1985

Farbfotografie

Masse Blattmasse: 40,0 x 30,0 cm

Fotografie

Mit einer Reihe von 27 Fotografien, genannt Equilibres, aus der Fotoserie mit dem suggestiv-poetischen Titel Stiller Nachmittag (1984/85) führen Fischli / Weiss die Beschäftigung mit Alltagsgegenständen weiter, indem sie mittels einfachen, bereits von Spuren der Nutzung gezeichneten Objekten (Stuhl, Krug, Flasche,... [ Weiter ]

Peter Fischli / David Weiss

Equilibres (aus 'Stiller Nachmittag'): Der Stillstand, die Müdigkeit

1985

s/w Fotografie

Masse Blattmasse: 30,0 x 40,0 cm

Fotografie

Mit einer Reihe von 27 Fotografien, genannt Equilibres, aus der Fotoserie mit dem suggestiv-poetischen Titel Stiller Nachmittag (1984/85) führen Fischli / Weiss die Beschäftigung mit Alltagsgegenständen weiter, indem sie mittels einfachen, bereits von Spuren der Nutzung gezeichneten Objekten (Stuhl, Krug, Flasche,... [ Weiter ]

Peter Fischli / David Weiss

Equilibres (aus 'Stiller Nachmittag')

1985

s/w Fotografie

Masse Blattmasse: 30,0 x 40,0 cm

Fotografie

Mit einer Reihe von 27 Fotografien, genannt Equilibres, aus der Fotoserie mit dem suggestiv-poetischen Titel Stiller Nachmittag (1984/85) führen Fischli / Weiss die Beschäftigung mit Alltagsgegenständen weiter, indem sie mittels einfachen, bereits von Spuren der Nutzung gezeichneten Objekten (Stuhl, Krug, Flasche,... [ Weiter ]