Leben & Werk Martin Disler

Martin  Disler
* 1949 in Seewen (SO)
† 1996 in Genf

Nachdem Martin Disler das katholische Internat in Stans wegen wiederholter Regelverstösse vorzeitig verlassen muss, besucht er 1969 zunächst während einiger Monate die Kantonsschule Solothurn, um dann als Praktikant in einer psychiatrischen Klinik zu arbeiten. In dieser Zeit beginnt der stark an Literatur und am Schreiben Interessierte auch intensiv zu malen. Mit seiner Freundin, der Künstlerin Agnes Barmettler, teilt er sich ein Atelier in Solothurn. Eine seiner ersten druckgrafischen Arbeiten wird von einer Wettbewerbsjury für die Ausgestaltung städtischer Gebäude ausgewählt und in einer Auflage von 40 Stück gedruckt. Der künstlerische Autodidakt bekommt auch bald Gelegenheit, seine Arbeiten in Einzelausstellungen zu zeigen; zunächst die plastischen Objektkästchen 1971 in Solothurn, Olten und München. 1973 hält sich Disler zu Studienzwecken in Paris und Bologna auf. Es folgen weitere Italienreisen in den nächsten Jahren. Nach vergeblichen Bemühungen um ein Stipendium der Eidgenössischen Kunstkommission wird Disler 1976, 1977 und 1979 finanzielle Unterstützung seitens der Kiefer-Hablitzel-Stiftung zuteil. Im Jahr 1977 unternimmt er zusammen mit seinem Künstlerfreund Rolf Winnewisser eine durch den Subskriptionsverkauf eines Künstlerbuches finanzierte Reise durch die USA. Von 1978 bis1981 wohnt und arbeitet er in der Roten Fabrik in Zürich, nachdem er beim Wegzug aus Dulliken bei Olten seine grossformatigeren Werke (bemalte Bretter, Objektkisten und Pappen) verbrannt hat. Es verbindet ihn eine Freundschaft und zeitweilige Zusammenarbeit mit der Künstlerin und Musikerin Klaudia Schifferle.

Die Ausstellung Invasion durch eine falsche Sprache in der Kunsthalle Basel beschert Disler 1980 den endgültigen Durchbruch als Künstler; im selben Jahr erscheint auch sein Text Bilder vom Maler, eine Art autobiographischer Roman, sowie der Lyrikband Der Zungenkuss. Diese Publikationen etablieren Disler auch als „Künstler des Wortes". Neben Zeichnungen und Druckgrafiken entstehen nun vermehrt grossformatige, meist mit Acrylfarbe gearbeitete Gemälde auf Papier oder Leinwand bzw. Baumwolle, und Rauminstallationen, die vielfach mit programmatischen Titeln bezeichnet sind. Letztere bezeugen, wie die Werke selbst, die Beschäftigung Dislers mit den existentiellen Themen Leben und Tod. Die Entwicklung zur raumfüllenden Malerei gipfelt im 141 Meter langen und 4,4 Meter hohen Panoramawandbild Die Umgebung der Liebe, das Disler 1981 innerhalb von vier Nächten in den Räumen des Württembergischen Kunstvereins in Stuttgart malt. Der Künstler pendelt zu dieser Zeit zwischen verschiedenen Ateliers in Zürich, New York und Harlingen (Niederlande), wo er mit der holländischen Künstlerin Irene Grundel zusammen lebt, die er später heiraten wird. Es folgen weitere beachtete Einzel- und Gruppenausstellungen, so 1982 in Köln, in New York und auf der Dokumenta 7 in Kassel, sowie 1983 im Amsterdamer Stedelijk Museum und im Museum für Gegenwartskunst in Basel. 1985 soll Martin Disler die Schweiz auf der Kunstbiennale in São Paulo vertreten. Wegen Transportschwierigkeiten kann er die Ausstellung nicht zeitgerecht bewerkstelligen - und realisiert dafür im folgenden Jahr die Installation Fogo sujo/Schmutziges Feuer in der brasilianischen Metropole.

Ab 1988 lebt Disler mit Irene Grundel in einem eigenen Haus in Les Planchettes bei La Chaux-de-Fonds. Nach Gipsfiguren und Lehmplastiken schafft er ab 1989 auch teils mehr als mannshohe Bronzeskulpturen, wendet sich jedoch zu Beginn der 90er Jahre wieder vermehrt der Grafik zu. Die plastischen Werke, die ab 1993 entstehen, sind aus gelochten Profilschienen, Gips und Stoff gearbeitet. Von 999 geplanten Aquarellen, die der Künstler im Jahr 1996 innert kürzester Zeit zu schaffen beabsichtigt, fertigt er bloss deren 388 an, denn Martin Disler stirbt am 27. August 1996 in Folge eines Hirnschlags. Im Jahr 2004 wird Martin Dislers Schaffen mit einer umfangreichen Webdokumentation des Schweizerischen Instituts für Kunstgeschichte wissenschaftlich gewürdigt (www.martin-disler.ch).

Für Dislers Werk im Ganzen kennzeichnend ist das Fehlen von Entwürfen und Skizzen. Selbst in der grossformatigen Malerei vermittelt sich eine Direktheit und eine Intensität, die sich nicht zuletzt einer exzessiven, impulsgetriebenen Arbeitsweise verdankt. Seit seinen bildnerischen Anfängen um 1970 versucht der Künstler immer wieder, ausgehend von willkürlich gesetzten, zeitlichen und quantitativen Prämissen, sich in einen sozusagen „konzentrierten Rausch" hineinzusteigern, um in diesen Zustand versetzt zu einer möglichst hohen Intensität des Ausdrucks zu gelangen. Schon in den reduziert-zeichenhaften, häufig kleinformatigen Zeichnungen der 1970er Jahre ist überdies jene Auseinandersetzung mit Bewegung und Raum zu erkennen, die später in den malerischen Grossformaten in besonderem Mass deutlich wird. Die zumindest vordergründige Nähe zu einer expressiven Bildkunst, wie sie zu Beginn der 1980er Jahre im Schwange war, führte dazu, dass das Schaffen Martin Dislers meist im Kontext der entsprechenden aktuellen Strömungen - je nach Sprachgebiet als Transavanguardia, Neue Wilde oder Figuration Libre bezeichnet  - ausgestellt und rezipiert (und namentlich vom Kurator Rudi Fuchs an der documenta 7 prominent präsentiert) wird. Während jedoch der expressive Gestus bei den Zeitgenossen nicht selten eine ironische, meist auch bildkritische Note enthält, so etwa bei Miriam Cahn, entspringt er bei Martin Disler keiner solchen Haltung: Der Anspruch, das „wahre Bild" zu schaffen, ist für ihn durchaus verbindlich. Das Erzeugen eines Bildes stellt für ihn im besten Fall ein körperliches Geschehen dar, das sich dem Bewusstsein im Wesentlichen entzieht.

www.martin-disler.ch

 

Isabel Fluri

 

 

 

 

Werke sortiert nach TitelJahrGattung ↑

Bild Informationen Beschreibung

Martin Disler

Walking

1983

Fettkreide, Tusche, Acryl und Kohle auf Papier, auf Leinwand aufgezogen

Masse 151 x 400 cm

Malerei

Nachdem Martin Disler in den 1970er Jahren vor allem als Zeichner in Erscheinung tritt, präsentiert er sich in der Ausstellung Invasion durch eine falsche Sprache im Frühjahr 1980 in der Kunsthalle Basel erstmals als Maler. Unter dem suggestiven Titel, der die Wichtigkeit der Sprache für sein bildnerisches Schaffen unterstreicht, zeigt der Künstler eine... [ Weiter ]