L.I.S rechts und links, schlechter Tag (bl.arb), 30.9.87, 1987

L.I.S rechts und links, schlechter Tag (bl.arb), 30.9.87, 1987, Miriam  Cahn

Miriam Cahns Auffassung, dass man nur aus einer Betroffenheit heraus, wenn man wirklich individuell an Körper und Geist getroffen ist, in wirklich ehrlicher Weise in jenem Verfahren zu handeln beginnt, die an die eigene Person gebunden ist und aus ihr selbst entsteht, zeichnet die Serie L.I.S wörtlich Lesen im Staub aus. Dabei geht die Künstlerin von ihrem Frausein aus, von ihrem Körper und ihrem Umfeld. Überzeugt davon, dass der Körper ein eigenes Gedächtnis besitzt und Erlebnisse speichert, woran wir uns vielleicht nicht erinnern, setzt die Künstlerin dieses Potential mit grösst möglicher Konzentration beim Prozess des Zeichnens ein, ohne mit den Augen Kontrolle auszuüben. Dabei sucht sie sich beim Zeichnen in eine Lage hineinzuversetzen, in der sich ihr weiblicher Körper erinnern kann, um gleichsam mit Körperenergiezeichen andere, neue Positionen erfahrbar zu machen. Für den Werkkomplex L.I.S schabt die Künstlerin im Staubraum Kreide mit einem Messer zu kleinen Kreidestücken und Staub. Das Kreidepulver breitet sie auf ihren Blättern aus, um schliesslich mit ihren Händen darin „zu lesen": auf dem Boden liegend, kniend oder kauernd, zuweilen mit geschlossenen Augen, sucht Cahn ihre Körpererfahrungen und -erinnerungen (ihre weiblichen Energien bei den „‚eisprungarbeiten' während meines eisprungs, ‚blutungsarbeiten' vor meiner blutung") möglichst unmittelbar ins Papier zu bringen respektive zu reiben. Es entstehen dunkle, zuweilen bedrohlich anmutende Universen, die schemenhaft Menschen/Frauen/Kinder (Köpfe, Augen, Brüste, ausscheidende Körper), Wesen, aber auch, dicht zueinander gedrängt, Tiere (Igel, Vögel) darstellen. Dabei thematisiert die Künstlerin die traditionelle Vorstellung des Weiblichen als Schützende und hinterfragt zugleich das Klischee der friedfertigen Frau. Neben den Linien, Flächen und Figuren finden sich auch Körperabdrucke - Hand-, Finger-, Knie- und Fussspuren der Künstlerin -, die sich während des Arbeitsprozesses ergeben und als direkte Körpererinnerungen auf den Blättern niederschreiben. Bei den datierten Arbeiten handelt es sich um sogenannte Blutungsarbeiten mit dem Vermerk, dass es sich um einen schlechten Tag der Künstlerin handelt. Die Zeichnungen als Niederschriften ihrer Performance werden nicht fixiert. Wandel und Vergänglichkeit bilden Teil der Werke.

 

Die Serien, die Cahn installativ im Raum präsentiert, sind durch Wiederholungen in den Motiven sowie durch Fragilität und Vergänglichkeit im Material und Unregelmässigkeiten im Format gekennzeichnet. Sie verstehen sich als Gegensatz zum in sich geschlossenen Meisterwerk, das Distanz und stete Kontrolle verlangt. Die vorliegende Arbeit mit dem Titel L.I.S besteht aus 4 mittelgrossen und 2 kleineren Kreidezeichnungen auf Papier. Die Blätter bestechen, trotz Ähnlichkeit, durch ihre Variabilität und deren Erfahrung im Raum. Die Frauenfiguren erinnern an die früheren Serien Das wilde Lieben, nur sind sie kleiner und werden mit der Aussenwelt - vor allem mit Tieren - konfrontiert. Die Künstlerin spricht über das Visionäre, Utopische in diesen Bildern, indem sie versucht, Dinge zusammenzubringen, die irgendwann auseinander gebracht wurden.

 

EMJ

 

 

 

Künstler
Miriam Cahn
Gattung
Zeichnung
Material
6 Blätter, Schwarze Schulkreide auf Papier
Masse
Installation: 650 x 180 cm
Standort
Papierrestaurierung
Inventarnummer
A 2003.274a-f
Credits
Schenkung Stiftung Kunst Heute 2003
Provenienz
Ankauf 1989 bei der Galerie STAMPA in Basel
Ausstellungsgeschichte

Literatur

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