Red Painting, 1981

Red Painting, 1981, Olivier  Mosset

In Olivier Mossets Red Painting fehlen sowohl ein Motiv oder ein Gegenstandsbezug, die Andeutung einer räumlichen Illusion und die Signatur im Sinne einer Handschrift des Künstlers: Alles, was sich zeigt, ist das überwältigende stark konnotierte Rot der riesigen, ungerahmten Leinwand.

Das 18 Quadratmeter grosse Red Painting von 1981 ist das fünfte rot gemalte Grossformat des Künstlers. Die früheren Versionen sind eine durch Bleistiftlinien strukturierte rote Leinwand, Ton-in-Ton-Streifenmalereien oder dann Werke, die entweder verschwunden sind oder zerstört wurden. Anders als viele sonstige Werke Mossets heisst das Berner Bild nicht Ohne Titel. Dafür bezeichnet Red Painting lakonisch und präzis, was es ist: ein rotes Gemälde. Die intensive Farbe erlaubt viele Assoziationen. Das Rot ist die Farbe des Blutes und des Lebens, es signalisiert Wärme, indes auch Feuer, Gefahr und Alarm, spielt auf Sünde und Schamesröte an, ist schliesslich aber auch schlicht diejenige Farbe, die das menschliche Auge am Meisten reizt - ein physiologisches Faktum, das beispielsweise in der Wendung „ein rotes Tuch" Ausdruck findet.

Freilich besticht Olivier Mossets Arbeit gerade dadurch, dass sie in ihrem Vermögen über die oberflächlich gesehen exakte Bezeichnung weit hinausweist. Die überdimensionierte Leinwand ist nicht nur eine enorme Fläche in einer auffallenden Farbe, die vielerlei gedankliche Verknüpfungen zulässt. Die Farbe, deren Auftrag man nicht erkennen kann und die daher einfach so „da" ist, verläuft über die Stirnseiten des Gemäldes hinaus. Diese Kanten bilden ihrerseits die einzigen kompositionell relevanten Markierungen. Gleichzeitig figurieren sie als Nahtstellen zum umgebenden Raum und machen dadurch das Werk in seiner Dreidimensionalität erfahrbar. Dies ist umso mehr von Bedeutung, als ja dem Gemälde selber jegliche Illusion von Tiefe und Räumlichkeit fehlt, die man gemeinhin in einem gemalten Bild -und sei es abstrakt - finden kann. Seine reduzierten Kreis- und Streifenbilder indes präsentieren ein pikturales Schema, das man jedoch in Red Painting vergeblich sucht.

Was also ist das rote Riesenrechteck für den Betrachter, dem es sich darbietet? Von Weitem besehen zeigt es sich durchaus als optisch fassbares, hochrotes Gebilde. Nähert man sich aber dem Werk, überwältigt es durch seine Übergrösse - es ist wortwörtlich unbegreiflich und unverhältnismässig gross. Von diesem roten Rechteck geht eine starke Energie aus, die den Betrachter dazu verführt, in die Farbe einzutauchen und gleichzeitig vor dem imposanten Format in Ehrfurcht zu erstarren. Gerade das fehlende Motiv verursacht ein Abgleiten, ein (Herum-)Irren des Auges an oder in der matt-flirrenden Farbe. Diese erscheint nicht als auf die Leinwandfläche applizierte Masse, sondern als gleichsam ortlos schwebender intensiver Farbton, an dem sich das Auge nicht festhalten, von dem es ebenso wenig ablassen kann. Diese Paradoxie ist denn wohl auch die Pointe des Red Painting: Man muss nicht, ja, man kann gar nicht genau hinschauen, um es (gut) zu sehen.

Olivier Mossets Werk führt ganz konkret vor Augen, was geschieht, wenn die bildliche Abstraktion bis zum Äussersten getrieben wird. Mit der radikalen Vermeidung jeglicher Abbildlichkeit ist das Bild nicht abzuschaffen. Die rote Farbe auf Leinwand, so spurlos ihr Auftrag und so unsichtbar ihr Autor dadurch auch ist, bedeutet noch immer keinen absoluten „Nullpunkt" im Sinne eines „Nichts" der Kunst oder des Bildes. Obwohl als eine Art semantische Leerstelle streng genommen sinnlos und gemäss Mossets Postulat indifferent, ist das Gemälde Red Painting in seiner sinnlich-expressiven Kraft ungeheuer präsent. Und trotz der „nüchternen Faktizität" der einfarbigen Leinwand kommt der Betrachter nicht umhin, Gedankenverknüpfungen zuzulassen, die das satte Rot unmittelbar provoziert. Dennoch geht es Mosset wohl nicht darum, mit seinem Monochrom eine übersinnliche Farbempfindsamkeit zu evozieren: Das Rot ist doch in auffallender Weise zu matt, als dass es derlei metaphysische Anspielungen vermitteln könnte. Es ist nur so, dass gerade Mossets absolut flächig gemaltes und damit nicht gemalt scheinendes Werk eine grosse visuelle Spannung erzeugt, die beweist, was der Künstler selber vermutet: „Eine Arbeit ist nie nur sich selber und nie wirklich neutral. Das sind wohl die Widersprüche, mit denen man zu tun hat."

IS

Künstler
Olivier Mosset
Gattung
Malerei
Material
Acryl auf Leinwand
Masse
300 x 600 cm
Standort
Depot
Inventarnummer
G 03.030
Credits
Schenkung Stiftung Kunst Heute, 2003
Provenienz
Galerie Susanna Kulli, St. Gallen, 1984
Ausstellungsgeschichte

Musée cantonal des Beaux-Arts de Lausanne, 23.5.-24.8.2003. Olivier Mosset 1966-2003. (Kat.)

 

Literatur

Weitere Infos

Leihgaben im Mamco Genf ab Juli 1996 und ab 2003 im Musée des Beaux-Arts in La Chaux-de-Fonds