All my life I gave you nothing but me, 1976

All my life I gave you nothing but me, 1976, Urs  Lüthi

Vielfach wird in Urs Lüthis fotografischen Aufnahmen aus den 1970er Jahren, zu einer Zeit, als er zunehmend die Farbfotografie in sein Werk miteinbezieht, auf bekannte Schemen und Darstellungsmodi aus der Geschichte der Kunst rekurriert, womit er die damals im künstlerischen Kontext noch junge Disziplin der Fotografie in eine Tradition stellt. So nehmen die beiden zusammengehörenden, dreiteiligen Arbeiten All my life I gave you nothing but me die Form des Triptychons auf, wobei die Bilder Akt, Landschaft und Porträt, beziehungsweise Porträt, Landschaft und Stillleben zeigen, wodurch die scheinbar so disparaten Sujets als Vertreter einer jeweiligen aus der Malerei bekannten Kunstsparte verstanden werden können. Auf formaler Ebene wie in einem Filmstreifen angeordnet, eröffnet sich dem Blick jeweils in der Mitte ein offener Himmel, als wäre es ein Fenster in Richtung Aussenwelt. Diese scheinbar unbegrenzte Tiefe wird an den Seiten von Bildern flankiert, welche die Darstellung mit engem Ausschnitt nach hinten begrenzen.

Der melancholische Duktus, gepaart mit feiner Ironie, der Lüthis gesamtes Schaffen durchzieht, äussert sich auch hier im Titel der Arbeit All my life I gave you nothing but me. Es sind Sehnsuchtsbilder, die der Banalität des Alltags entgegenstehen möchten, dieser aber doch nicht entfliehen können. Statt als siegreicher Heros posiert Lüthi als gebrochener Held, der zwar einen Pokal gewonnen, doch auch ein paar blaue Augen davon getragen hat. In einer weiteren Arbeit von 1976 wird Urs Lüthi diesen „Champion" als Mittelbild zwischen zwei Landschaften noch einmal aufnehmen. Mit ihm zeigt Lüthi eine Verkörperung seiner diversen Künstlerrollen, etwa Clown, Diva, Dandy oder hier den Schmerzensmann, über die er sich den Blicken des Publikums aussetzt, denn nicht zuletzt wird auch der Voyeurismus des Betrachters offenbart: So trifft beispielsweise der (männliche) Betrachterblick auf den weiblichen Akt (Urs Lüthis damalige Lebenspartnerin Elke Kilga, Ecky genannt), doch erst im unverblümt zurückblickenden Porträt wird dieser angemessen entgegnet und auf den Betrachter zurückgeworfen. Über den schwarzen Zensurbalken des Bildes im Bild, der gerahmten Foto im „Stillleben" schliesslich, dringt der Blick aus dem Bild nicht mehr nach aussen. Wie in einem Verbrecherbild wird nicht nur ein vermeintliches „Opfer" vor der Betrachtung geschützt. Auch wir, die Betrachter, können vom Kunstwerk nicht mehr ins Visier genommen werden, womit der Kreislauf von anschauen und angeschaut werden durchbrochen wird.

 

SM

 

Künstler
Urs Lüthi
Gattung
Fotografie
Material
3 Farbfotografien in Passpartout
Masse
Fotografie: je 25,0 x 25,0 cm
Kartonmasse: 55,0 x 110,0 cm
Standort
Depot
Inventarnummer
F 2003.263
Credits
Schenkung Stiftung Kunst Heute
Provenienz
Geschenk von Donald Hess 1996
Ausstellungsgeschichte

Literatur

Urs Lüthi - art is the better life, hrsg. von Christoph Lichtin, Flurina & Gianni Paravicini-Tönz, Luzern: Edizioni Periferia, 2009.

Urs Lüthi - the remains of clarity II/III  art is the better life, Poschiavo: Edizioni Periferia, 2005.

Urs Lüthi - the revenge & the remains of clarity: art is the better life, Luzern: Edizioni Periferia, 2003. 

Urs Lüthi - art is the better life: tableaux 1970−2002, Genève: Musée Rath, 2002.

Urs Lüthi. The Venezia Pavillon, Band 1 und 2, XLIX Biennale di Venezia, Luzern / Poschiavo: Edizioni Periferia, 2001.

Run for your life: placebos & surrogates, Ausst.-Kat. Lenbachhaus Kunstbau München, 9.6.– 27.8. 2000, hrsg. von Helmut Friedel, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz, 2000.

Urs Lüthi: Placebos Surrogates, hrsg. von Flurina Paravicini et al., Poschiavo: Edizioni Galleria Periferia, 1999.

The complete life and work, seen through the pink glasses of desire, Köln: Politischer Club Colonia, 1993.

Rainer Michael Mason, Urs Lüthi. L' œuvre multiplié 1970–1991, Genf: Cabinet des estampes, 1991.

Urs Lüthi - Wo der Traum in Liebe endet: Facetten eines Selbstportraits, Ausst.-Kat. Kunstverein München, 19.9.–1.11.1987, München: Kunstverein München, 1987. 

Urs Lüthi - Bilder 1977–1980, Kunstmuseum Bern, 21.1.–29.3.1981, Graz: Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, 1980.

Transformer - Aspekte der Travestie, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Luzern, 17.3.–15.4.1974, Luzern: Kunstmuseum, [1974].

Visualisierte Denkprozesse, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Luzern, 15.2.–29.3.1970, Luzern: Kunstmuseum, 1970.

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