Redressing the Balance (Musulman), 2005 - 2006

Redressing the Balance (Musulman), 2005, Alex  Hanimann

Seit vielen Jahren datiert Alex Hanimann seine Zeichnungen nicht mehr. So hat er die Freiheit, alte Zeichnungen mit neuen Elementen zu ergänzen. In diesem Sinne kann eine Datierung nur im Rahmen eines Zeitabschnitts festgelegt werden. Oft handelt es sich bei den Zeichnungen um ein Abzeichnen, ein Durch- oder Nachzeichnen in konventioneller Abbild-Manier. Dabei isoliert Hanimann die Umrissform von Personen und weiteren Dingen und stellt die Zeichnung in einen neutralen Raum, in welchem der lebendige Kontext nicht mehr vorhanden ist. Resultat ist ein unpersönlicher, zuweilen spröder, distanzierter, ja ungelenker respektive neutraler oder gleichmacherischer Strich, in welchem Wichtigkeiten und Unwichtigkeiten formal gleich geordnet und dargestellt werden. Von Wichtigkeit ist nicht die Ähnlichkeit, sondern die Abweichung. Sie präsentieren sich in einem weissen Umfeld ohne Handlungskontext. Lebendigkeit ist erstarrt, was die Zeichnung zu einem Emblem macht, wo die Figuren und Objekte auf einen Restbestand von Individualität reduziert werden. Durch ihre Zeichenhaftigkeit haben sie einen festen Platz im Feld der Bedeutungen. Durch die Möglichkeiten des Computers, den Hanimann in seinen neuesten Arbeiten nutzt, wird die Handzeichnung in die digitale Zeichnung, eine flächige, plakative Umrisszeichnung transformiert, wie dies bei Redressing the Balance (Musulman) ersichtlich ist. Modellhaft findet sich ein Musulmann in traditioneller Kleidung und mit Kopfbedeckung auf einer kleinen, nicht Halt versprechenden Erdkugel, auf welcher er Erkundung im Weiterschreiten thematisiert. Wohin und warum schreitet er auf der Weltkugel? Die zeichnerische Klarheit des Musulmans ergibt indes keine Lösung oder eindeutige Interpretation des Bildes. Weder Betrachter noch der Künstlers selbst wissen, wohin die Figur führt, welches Gleichgewicht sie auf unserer Kugel der Welt wiederherstellt. Ganz bewusst verzichtet Hanimann auf eindeutige Sinnstiftung, obwohl die Figur des Musulmans als Typus in unserer Gesellschaft seit Jahrhunderten präsent ist und mit vielerlei Assoziationen verknüpft wird. Auch erwähnt der Künstler (in einem e-mail an die Autorin) die problematische Expansionspolitik der westlichen Kultur, was einen Fundamentalismus auf der anderen Seite fördere mit der Frage, wie die Welt heute aussehen würde, wenn die Kulturen auf Machtansprüche innerhalb aber auch ausserhalb der eigenen Kultur verzichten würden.

Die Zeichnung gemahnt an einen kulturellen Konterpart, einen hanimann'schen Gendarmen in traditioneller Uniform und westlicher Manier auf Sockel, den Fahnenträger oder Soldaten aus dem letzten oder gar vorletzten Jahrhundert oder an den uniformierten Voranschreitenden aus dem einstigen Ostraum. Es sind Typen, die kulturell identifiziert, klassifiziert und durch Klischees auratisiert werden und trotz ihrer Benennung trügerisch bleiben und nichts weiterführen. Wer zieht gegen wen in den Kampf? Man weiss es nicht. Ebenso Typus ist die Computerzeichnung einer weiblichen Nackten mit hinzugefügter Scham, die dem Betrachter gegenübersteht und als Kontrapunkt zu den männlichen Bekleideten zu sehen ist. In der verwundert distanzierten Betrachtung erkennen wir die Gestalt, ohne dabei etwas über ihre Bedeutung vernehmen zu können. Der Mangel an Sinn füllt sich mit Interpretationen und die Mitteilung wird womöglich auf die Pointe des Begriffs gebracht.

 

EMJ

 

 

 

Künstler
Alex Hanimann
Gattung
Computergrafik
Material
Computergenerierte, digitale Zeichnung auf Papier 150 gr./m2
Masse
250 x 200 cm (max)
Blattmasse: 70 x 56 cm (min.)
Standort
Videocompany
Inventarnummer
S 2006.280
Credits
Schenkung Stiftung Kunst Heute, 2006
Provenienz
Schenkung
Ausstellungsgeschichte

Das Werk wurde anlässlich der Ausstellung Reisen mit der Kunst (2006) im Kunstmuseum Bern präsentiert und angekauft.

Literatur

Weitere Infos