Leben & Werk Christian Marclay

Christian Marclay
* 1955 in San Rafael (Kalifornien)
lebt und arbeitet in New York und London

 

Der Schweizer Christian Marclay wird in Kalifornien geboren und verbringt seine Kindheit in Genf, wo er von 1975-1980 seine künstlerische Ausbildung an der Ecole Supérieure d'Arts Visuels (ESAV) erhält. Dort interessiert er sich weniger für die aktuelle semiologische Analyse, als für das konzeptuelle Wirken John Armleders und der Groupe Ecart. Weitere Studien am Massachusetts College of Art in Boston sowie und an der Cooper Union in New York. In Bosten und schliesslich New York beginnt er seine künstlerische Karriere als Performer und Sound Artist. Leitmotiv ist bei Marclay, ausgehend von den Auseinandersetzungen mit dem Werk von John Cage, der Ton, die Stille, aber auch der Lärm und somit das Reich der Musik und die damit in Zusammenhang stehenden musikkulturellen Phänomene. Mit diesen Möglichkeiten experimentiert der Künstler als erstes in den performativen Künsten. Beeinflusst von Fluxus und Performern wie Vito Acconci und Laurie Anderson wie auch von der musikalischen Punkbewegung gehört Marclay zu den ersten experimentellen non-rap DJ's, die an öffentlichen Orten oder auf der Bühne musikalische Performances mithilfe von Sampling aufführen, mit den Worten Marclays: „a theatre of found sound".

Erste Auftritte und Präsentationen hat Marclay in Franklin Furnace, The Kitchen, CBGB sowie The Mudd Club in New York, weitere Präsentationen in den späten 1980er und 90er Jahren am Festival Bollwerk-Belluard in Freiburg 1986/1996, im Clocktower P.S. 1 Museum in New York 1987, in der Shedhalle Zürich 1989, an der Whitney Biennale 1991, in Fri-Art Kunsthalle Freiburg 1994, im Jahr darauf im Rahmen seines DAAD-Stipendiums in Berlin, das er 1993 entgegennehmen darf. Es folgen zahlreiche Ausstellungen, sei es zur Präsentation eigener Werke oder als Kurator im Reich des eigenen Themenkomplexes, und Auftritte in bedeutenden kulturellen Institutionen Europas und Amerikas. Einen gewichtigen Schweizer Auftritt hat Marclay an der Biennale Venedig in der Kirche San Staë 1995. Das Kunstmuseum Thun widmet ihm 2004 eine Retrospektive, die in Zusammenarbeit mit dem UCLA Hammer Museum in Los Angeles organisiert wird (mit weiteren Stationen in Europa und den Staaten). 2009 darf Christian Marclay den renommierten Prix Meret Oppenheim entgegennehmen.

 

Marclays performative Auftritte bestehen aus Collagen verschiedener Audio-Fragmente, die aus manipulierten, zerstörten oder verformten Langspielplatten aus diversen Kulturbereichen und Stilen entstammen. Eine erstmalig am Boden gefundene kaputte Langspielplatte in den Strassen Bostons 1979, die Marclay abhörte, war für sein weiteres Schaffen die Initialzündung. Als „record-player" spielt er fortan recyclierte und nicht selten manipulierte Vinyls in kulturellen Institutionen simultan auf mehreren Plattenspielern ab, die er somit selbst zum Instrument macht. Der performative und mehrheitlich improvisierte Auftritt des Künstlers - Marclay ist Musiker, ohne Musiker zu sein, was dem Punkethos seiner Zeit entspricht - begleitet nicht selten seine Ausstellungen seit den frühen 1980er Jahren in Amerika und Europa. Eine Weiterführung seines spielerischen und humorvollen Prinzips einer collagierten Musikproduktion findet sich bei Lifeauftritten mit real produzierenden Musiker/innen, bei welchen Musikformationen unterschiedlichster Art unter der Regie des Künstlers zu einem gemeinsamen Werk orchestriert respektive zusammengemixt werden. Neben der Aktion, die es zu hören und sehen gibt, ist es ebenso die gemeinsame Arbeit und das soziale Ereignis, die den Künstler faszinieren.

Nicht ausschliesslich das musikalische, auditive Phänomen interessiert den Künstler, sondern ebenso die verschiedenen Träger und Übermittler der Audiomedien respektive des Tons: LP-Hüllen, Vinylplatten, Kassettenbänder und Abspielgeräte, Musikinstrumente, Mikrophone, Telefonapparate, aber auch Musiker/innen etc. Dabei erweitern sich Marclays Auseinandersetzungen im Laufe der Jahre in die Medien Objekt, Skulptur, Installation, Fotografie, Video und Film. Hat Marclay in frühen Jahren mehrheitlich bildnerisch oder installativ im Raum des Musikalischen und so auch mit der Stille experimentiert - Collagen von Schallplattenhüllen, beschriebene Vinylplatten oder raumgreifende Installationen mit Vinylplatten etwa bleiben unvergessen -, so wagt sich der Künstler im Laufe der Zeit in den Versuch einer Transformation des Hörbaren ins Sichtbare. So führt er beispielsweise das Gesamtwerk der Beatles, das sich auf dem Trägerband befindet, das ein gleichnamige gehäkelte Kissen The Beatles 1989 über oder transformiert in Tape Fall 1989 einen Kasettenplayer auf einer Leiter mit dessen Trägerband gleichsam endlos zum Wasserfall. Des Weitern gestaltet er trans- oder deformierte Musikinstrumente und Audioobjekte, wie der mit einem Spiegel statt mit Saiten versetzte Konzertflügel Grand Piano 1994, das Horn, das sich bei Stool 1992 mit der Öffnung nach oben durch einen Bugholzhocker zwängt, das verlängerte Extended Phone 1994 oder der 7 Meter lange Akkordeon Virtuoso 2000, wohl wissend, dass dieses handwerklich sorgfältigst unternommene Unterfangen de facto scheitern muss. Oder aber er führt den Themenkomplex interaktiv weiter, indem er immer wieder das Publikum auffordert, in die inszenierte Stille einzugreifen. Das Prinzip von Appropriation, Sampling und Collage wendet Marclay seit einigen Jahren vor allem in der Fotografie, aber auch in Editionen, im Film und Video an: Telephones 1995, Video Quartet 2002, Crossfire 2007 und The Clock 2010. Letzteres Werk, eine Art Video-Uhr, ist ein minutiös erarbeitetes Epos, das mit tausenden von Filmausschnitten die Zeit von Minute zu Minute ganze 24 Stunden lang zeitgenau vorrücken und schliesslich den Tag vollenden lässt. Sie wird jeweils an die Lokalzeit des Vorführortes angepasst. Es wird an der Biennale von Venedig 2011 mit dem Goldenen Löwen geehrt und hat dem Künstler grosse Popularität gebracht. Collagen aus Comics mit visuell vermittelten, aussersprachlichen Geräuschen oder Ausdrucksweisen, sogenannte Onomatopoesie, erweitern Marclays Spektrum im Reich der Töne und Geräusche: BRUMM, ZRAK, SKRUK, KRAK, WHOOSH, FLOOSH! Die Arbeit Seven Windows findet sich strassenseitig als Glasmalerei an der Fassade des Palais de Tokyo in Paris.

Das Kunstmuseum Bern besitzt, neben den Werken der Sammlung Kunst Heute, ein weiteres, bedeutendes installatives Werk von Christian Marclay: White Noise, 1993/1998, das gemeinsam mit dem Werk Extended Phone 1994 in Fri-Art Kunsthalle Freiburg präsentiert und im Rahmen der gleichnamigen Gruppenausstellung in der Kunsthalle Bern 1998 von der Stiftung Kunsthalle Bern angekauft wird.

 

Christian Marclay kann von sich behaupten, innert 30 Jahren mit seinem unverkennbaren und innovativen Ansatz in der Verbindung von Kunst und Audio-Kulturen - das Reich der Töne, Klänge und Musik - in der Kunstwelt internationales Renommee erreicht und eine neue Generation von Musikern, Künstlern und Theoretikern beeinflusst zu haben.

Christian Marclay wird von der Galerie Paula Cooper in New York vertreten.

 

Esther Maria Jungo

 

Werke sortiert nach Titel ↑JahrGattung

Bild Informationen Beschreibung

Christian Marclay

Extended Phone

1994

Telefonapparat, 2 Telefonhörer und Plastikschlauch

Masse Installation: variabel Plastikschlauch: Länge: ca. 30 m

Objekt

Mit dem Objekt Extended Phone, das aus einem Telefonapparat besteht, dessen Hörer eine Transformation erfahren hat und sich wie eine Schlange durch den Raum windet, somit Hörer und Empfänger drastisch gedehnt werden, beschäftigt sich der Künstler mit der möglichen Übermittlung von Ton oder Stille. Durch die ironische und zugleich... [ Weiter ]

Christian Marclay

Telephones

1995

Betacam SP (PAL), s/w und Farbe, mit Ton

Masse Dauer: 7'05''

Objekt

Das gut 7-minütige Werk besteht aus einer Videocollage aus verschiedensten historischen Spielfilmen, in deren Zentrum eine Vielzahl Telefonapparate stehen: es wird an Telefonapparaten gewählt, es klingelt an anderen, Menschen sprechen, antworten, aber schweigen auch - „Hello", „Ja", „What?", „Who?", „Darling, it's me." „I'm so confused",... [ Weiter ]