Leben & Werk Fabrice Gygi

Fabrice Gygi
* 6.5.1965 in Genf
lebt und arbeitet in Genf

Der Genfer Fabrice Gygi besucht von 1983-1984 die Ecole des Arts Décoratifs sowie 1984-1990 die Ecole supérieure d'art visuel (ESAV) in Genf.

Als Anfänge seines künstlerischen Wirkens betrachtet Fabrice Gygi seine Tätowierungen, die er im Alter von 11 bis 15 Jahren an sich selbst vorgenommen hat. Es folgt eine Lehre als Goldschmied. Von den Tätowierungen und weiteren Zeichnungen ausgehend, setzt sich Gygi in einem Atelier des Centre genevois de gravure contemporaine mit den graphischen Künsten auseinander und entwickelt einen linearen Stil, der von Klarheit, Präzision und Ironie gezeichnet ist und in der Folgezeit ebenso seine Installationen und Objekte kennzeichnet. Seine Tätowierungen lässt er Jahre später auf 7 grossen Fahnen in der Werkserie Viens dans ma peau 1997 festhalten, um nochmals zu bekräftigen, wie es auf einem tätowierten Spruch auf seiner Haut leitmotivisch steht: „Né pour déchaîner l'enfer" und sich gegen die Mechanismen der Macht aufzulehnen. Sozialisiert in der Genfer Hausbesetzer- und Autonomenszene der 80er Jahre, rebellierend gegen die herrschenden Gesellschaftsstrukturen und nomadisierend im städtischen Umfeld wie auch in der kanadischen Wildnis, widmet sich der Künstler nach seiner Rückkehr vorerst dem Nähen und der Herstellung skulpturaler Säcke aus Stoff. Die Kunst erlebt er seitdem als Nische, in der er frei artikulieren und sich bewegen kann. Um 1993 erstellt er seine ersten Zelte aus Planen und inszeniert seine ersten, bedeutenden Performances. Als Gründungsmitglied des Espace d'art contemporain Forde in der Usine von Genf ist er Teil der alternativen kulturellen Szene der Stadt, die für zeitgenössische Kunst und Kultur einsteht. Bereits in seinen frühen künstlerischen Äusserungen findet sich eine Thematisierung von Strukturen der Macht, Autorität und Repression, Ordnung, Kontrolle, Schutz und Auflehnung. Diese werden in den Medien Performance, Zeichnung, Grafik, in der Installation und im Objekt sowie in der Skulptur formuliert und bringen eine eigenständige, ja existentielle, suggestive Formensprache mit verdichteten Szenarien zum Ausdruck, die durch eine präzise Wahl der Materialien und ihre Präsenz besticht.
Gygis Werke bestehen somit in keiner Weise aus den üblichen anarchistischen Zeichensetzungen im urbanen Raum, wie im Graffiti oder der Urban Art üblich. Sie werden vielmehr aus funktionalen Ausstattungsgegenständen wie Bühnen, Zelte, Gummimatten, Blachen, Lederriemen, Absperrgitter, polizeiliche, militärische oder sicherheitstechnische Gerätschaften (Sandsäcke, Megaphone, Airbags, Wasserwerfer, Panzersperren, Schutzschilder, Maschendraht, Matratzen), wie sie bei öffentlichen Manifestationen schützender- oder verletzenderweise eingesetzt werden, geschaffen.

Gygi stellt sie mit handwerklichem Können selber her oder gibt sie in Auftrag, wie bei Tribune (1996), Podium oder Tente bar (1997), Snack Mobile oder Vidéothèque mobile (1998).

Mit diesen Objekten steckt der in seinem Wirken kompromisslose Künstler „Handlungsfelder" ab, die einen Dualismus zwischen Zeigen und Verbergen, zwischen Schutz und Auslieferung zum Ausdruck bringen. Die in der Materialität, in deren perfekte Verarbeitung und Inszenierung elementar wirkende Kraft mit ihren unverkennbaren formalen Allusionen zur Minimal Art verweist auf unsere westliche Gesellschaft mit ihrem Potential zu Macht, Manipulation, Kontrolle und Unterdrückung. Zugleich wird die Bevölkerung oder eine Gemeinschaft in die Positionen der Spieler oder Agierenden und oder in jene der Zuschauer verwiesen. Dadurch wird ein widersprüchlicher Erfahrungsraum eröffnet, wo das Publikum auf Distanz gehalten und zugleich involviert und den Objekten ausgesetzt wird. Gewalt, Macht und Ohnmacht sind die Erfahrungsmomente, die dominieren, währenddessen Gegenstrategien noch erschaffen werden müssen. Trotzdem will sich Gygi nicht als politisch agierender Künstler verstanden wissen, als vielmehr als zeitgenössischer Beobachter, um mit seinem Werk auf die herrschenden Zustände und Verhaltensstrukturen in unserem gesellschaftlichen Ordnungssystem aufmerksam zu machen. Dass dabei auch das System des Kunstmarktes nicht ausgespart wird, darauf verweist Gygi, der als zeitgenössischer Künstler in der bedeutenden Galerienszene wie auch auf dem Kunstmarkt seinen arrivierten Platz inne hat, an der ART Unlimited, wo im Jahr 2008 an einem 12 Meter hohen Kontrollturm eine allseitig befensterte, mit Scheinwerfen ausgestattete Kabine, genannt Vigie (2002), an der Achse auf- und abfährt. Sie gewährt nicht nur Überblick, sondern ermöglicht vor allem Überwachung. Mit dieser Arbeit, die er für die 25. Biennale in São Paulo geschaffen hat, weist der Künstler einmal mehr auf das Risiko einer totalitären Struktur hin. Seit 2003 entwickelt Gygi Skulpturen aus farbig gestrichenem Stahl oder Inox die, zuweilen mit Lederobjekten oder Holzstrukturen ergänzt, in ihrem mehrdeutigen Minimalismus und mit ihrer überzeugenden, verführerischen Materialität an Schlag- oder Folterinstrumente erinnern. Wie immer geht es bei Gygis Arbeiten keineswegs um das Spielerische oder gar um eine Aufforderung zur Partizipation, als vielmehr um das Modellhafte, um die Reduktion des Realen. Die formschönen Objekte, wie sie jüngst auch in seinen Gold- oder Silberschmiedearbeiten zu finden sind, die der passionierte, einstige Goldschmied nach langen Jahren des Unterbruchs wieder aufnimmt, führen seine unverkennbare Handschrift und dessen ästhetisches Territorium weiter, das zwischen Preziosität und Machtanspruch, zwischen Schönheit und Gewalt und Schrecken oszilliert.

 

Schon früh wird Gygis Werk als Einzelpräsentation in bedeutenden Institutionen präsentiert, unter anderem im Mamco Genf, der Villa Merkel in Esslingen sowie im Kunstmuseum St. Gallen (2004-6). Zahlreiche Stipendien und Preise darf er entgegennehmen: die Bourse Lissignol Chevalier 1995, das Eidgenössische Kunststipendium für freie Kunst 1996, 97, 98, den Preis der UBS-Kulturstiftung 2001 den Prix du Quartier des Bains in Genf 2007. 2002 vertritt Gygi die Schweiz an der Biennale von São Paulo und 2009 an der Biennale von Venedig mit einer Installation in der Kirche San Staë.

Gygis unverkennbares Werk geniesst weltweites Renommee und ist in bedeutenden öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten.

 

Esther Maria Jungo

 

 

Werke sortiert nach Titel ↑JahrGattung

Bild Informationen Beschreibung

Fabrice Gygi

ohne Titel

1995

Metall, Holz, Zeltstoff, Schaumstoff, Gummibänder, Toninstallation

Masse 260 x 260 x 260 cm

Installation

Fabrice Gygi lässt in seinen Strukturen für Unterstand oder Zusammenkünfte die Wechselwirkungen zwischen Schutz, Gemeinschaft und Auslieferung an eine äussere Macht sprechen und weist damit auf die beängstigenden, ambivalenten Zusammenhänge zwischen Ordnung und Kontrolle, Autorität und Unterdrückung hin. Die elementare Installation, die mit ihrer... [ Weiter ]

Fabrice Gygi

Snack Mobil

1998

Fahrbarer Verkaufstand aus Chromstahlblech mit Zeltdach und Zubehör (Kühlschrank, Hotdog-Maschine, Senf- und Ketchup-Verteiler, Inox-Kessel, Elektrokabel und Neonbeleuchtung) [Details s. Bemerkungen]

Masse 131,5 x 107 x 200 cm (Lunch-Mobil ohne Dach) 50 x 250 x 160 cm (Dach)

Objekt

Neben Gygis Arbeiten, die ambivalente Machtstrukturen thematisieren, finden sich Werke, die auf die Notwendigkeit von Autonomie, Mobilität, Nomadismus und auch Sicherheit verweisen, wie Gygis Zeltstrukturen (seit 1993), die Elementarstruktur eines freien Marktes, oder das Snack Mobile. Dem Formenvokabular seines Stils entsprechend besteht das Snack... [ Weiter ]