Leben & Werk Yan Duyvendak

Yan Duyvendak
* 1965 in Zeist (NL)
lebt und arbeitet in Genf und Marseille

Yan Duyvendak absolviert seine künstlerische Ausbildung von 1980-85 an der damaligen Ecole cantonale des beaux-arts in Sion und anschliessend an der Ecole Supérieure d'art visuel (ESAV) in Genf, im damaligen Atelier der Video- und Multimediapioniere Sylvie und Chérif Defraoui, die Duyvendaks Interesse für die Zusammenhänge von Wort und Bild prägen.

In seiner künstlerischen Tätigkeit widmet sich Duyvendak den Medien Zeichnung, Fotografie und Installationskunst sowie der Performance. Seit etwa 1995 wird Duyvendak zusehends als Performance- und Videokünstler, respektive Multimedia-Künstler, von einer interessierten Öffentlichkeit wahrgenommen und geschätzt. Seine performativen Auseinandersetzungen und Ausdrucksweisen sind von einem einzigartigen, unterhaltsamen, ästhetischen, oft poetischen und eindringlichen Stil geprägt, den er kontinuierlich und stringent weiterentwickelt und die nicht selten mit living Video gepaart sind. In seinen auf internationalem Terrain präsentierten Performances beschäftigt sich der in selbstverständlicher Weise mehrsprachig agierende Künstler (holländisch-deutsch-französisch-englisch-spanisch) mit den Unterhaltungs- und Informationsmedien unserer Zeit, ohne das Medium zu verurteilen oder zu beschönigen: Ihre klischierten Geschichten und deren rasante Entwicklung als Teil unseres Lebens, die auf einer steten Gratwanderung zwischen Virtualität und Realität auf vereinnahmende Weise globale Verbreitung gefunden haben und die Wahrnehmung sowie gesellschaftliche, kulturelle und persönliche Identitäten prägen. Obwohl Duyvendaks Arbeiten im Umfeld der gesellschaftskritischen Positionen zur Film- und Fernsehkritik zu sehen sind, sollen diese nicht auf die distanzierte kritische Position reduziert werden, da sein Umgang mit den Massenmedien ebenso von Faszination, Ironie und Überzeichnung geprägt ist.

Das frühe Performancewerk Keep Fun For Yourself, das ab 1995 bis heute immer wieder aufgeführt wird und dem Unterhaltungscharakter in der zeitgenössischen Kunst auf hinterlistige Weise zu entsprechen sucht, thematisiert die Welt der Musik, des Lieds und Chansons, die das Klischee des Künstlers und Künstlerdaseins aufgreifen und zugleich die Bedeutung der Kunst im Leben der Menschen thematisieren. In folgenden Performances widmet sich Duyvendak den Mythen, der Ästhetik und den Verführungsmechanismen des Massenmediums Film und TV, die ihm die Bilder und Erzählungen für seine Performances liefern, um diese Collagen mittels eigener, zumeist imitativer oder vielmehr „appropriativer" Interventionen in einer Form ästhetischen Hybrids neu zu inszenieren. Dabei werden die Strategien der Massenkultur in der geschaffenen Welt des Sample dekonstruiert. Dazu fokussiert er ausgesuchte Aspekte unserer Massenkultur, die tagtäglich bei Tausenden ins Wohnzimmer strahlen, wie die Bilderüberflutung und das Zappen/Hoppen/Switchen (Programmwechsel, paralleles Verfolgen, Suchen) im Bemühen um Auswahl und Spannung und konfrontiert sie mit Themen wie Fiktion und Realität, Individuum und Kollektiv, Original und Kopie, öffentlich und privat, Fragilität und Monstrosität, Zufall, Schicksal und Selbstbestimmung des Menschen. Mit bemerkenswertem körperlichem Einsatz und rhetorischer sowie choreographischer Präzision werden die erwähnten Themen in den Performances What Happens Now 1999, Une soirée pour nous 1999, My Name is Neo (for fifteen minutes) 2001, Dreams Come True und Self Service 2003 in abwechslungsreicher und humorvoller Manier, die zuweilen ans Tragische rührt und nicht selten ins Absurde führt, thematisiert: wir werden durchs Leben gezappt und haben keine Wahl. In diesem Kontext entsteht in einer Coproduktion der Stiftung Kunst Heute und dem Centre de l'image Contemporaine, Saint-Gervais Genève, die Arbeit You Invited Me, Don't You Remember? 2002, die sich mit dem Bild respektive der Vorstellung des Bösen auseinandersetzt.

Die Erfahrungen des 11. September 2001 stellen das Weltverständnis und -erleben auf fundamentale Weise in Frage. Sucht Duyvendak in der Performance You Invited Me, Don't You Remember? in der Kritik des dualen Weltprinzips gut & böse durch die Identifikation beider Positionen zu thematisieren, so will er in seinen folgenden Arbeiten nicht mehr den Weg des, wenn auch schwarzen, Humors bestreiten, da dieser nicht mehr ausreiche. Die Welt wurde erschüttert und hat sich verändert; sie ist härter, grausamer, absurder geworden, so Duyvendak. Er sieht dabei seine virtuose Technik der Performance als ein Spielfeld, in welchem er keine Lust mehr hat, zu spielen. Vielmehr will er nach dem Ausloten unserer mediatisierten Identität die Grenzen überschreiten, agieren, neue Wege finden, die Dogmen der Systeme durchbrechen und den mündigen Zeitgenossen aktiv in seine Fragestellungen miteinbeziehen. Im Geist dieser neuen Haltung entwickelt der Künstler mit Nicole Borgeat während seines Atelieraufenthaltes in Berlin Side Effects 2005. Weniger virtuos, doch unmittelbarer sollen die Performances wirken, mit Humor, doch weniger ausgelassen, wobei das Publikum inmitten des Geschehens, das von 4 Monitoren umgeben wird, platziert wird. Auf deren Mattscheibe präsentiert der Künstler Filme, die er a capella (Ton, Wörter, Gesang) begleitet. Zusehends kommt dem Publikum die Rolle in der Wahl des Programms und somit auch die Rolle in der Wahl der Performance des Künstlers zu, um schliesslich die Position einer möglichen Machtergreifung in Erwägung zu stellen und um auf die Frage zu kommen, wer Zuschauer und wer Inszenator ist. Es vollzieht sich ein Bruch in der üblichen unilateralen, unbeteiligten Zuschauerrolle. Anlässlich eines weiteren Auslandaufenthalts des Künstlers in Kairo beschäftigt er sich mit der anderen, ihm fremden Welt im Orient sowie zwangsläufig mit den eigenen Projektionen über die Kulturen in West und Ost. In Zusammenarbeit mit dem Performer Omar Ghayatt und Nicole Bourgeat entwickeln sie Made In Paradise 2008: ein Performancewerk, das sich aufgrund aktueller politischer Gegebenheiten stetig weiterentwickelt. Wie bei Side Effects erstmalig erprobt, kommt auch bei dieser mehrstündigen Performance dem Publikum eine entscheidende Rolle zu, indem es sich nicht nur die möglichen Szenen (im Rahmen von 12 vorab entwickelten Episoden), die zu Beginn der Performances kurz vorgestellt werden, zugunsten einer längeren Präsentation auswählen kann, sondern ebenso an den ausgewählten Szenarien teilhaben soll, um gemeinsam mit den Performern eine befristete Polis zu erschaffen, in welcher Gedanken gemacht werden, wie in einer Stadt gemeinsam gelebt werden kann.

In einer kurzen Reihe performativer Arbeiten greift der Künstler zudem die Ästhetik und Inhalte von Netzwerkspielen - populäre Kriegsspiele - auf, auf deren Fiktion er in seiner Performance im realen Raum agiert: Game Over und You're Dead! (2004). Duyvendaks Position ist dabei jene des Teilnehmers in dieser Welt der Fiktionen, indem er die von ihm erwarteten Strategien, zwar in einem anderen Kontext und getrieben von einer neuen Choreographie, in unheimlicher Weise einlöst, um dadurch auf die Strategien, die Problematik sowie die Verzerrungen des Wirklichen hinzuweisen.

Die medialen Gegenüberstellungen zu seiner agierenden Person, respektive Duyvendaks Antwort auf die Bilder der Massenmedien - Repräsentationen der Schönen und Erfolgreichen, aber auch der Bösen und Mächtigen - ist dabei nicht nur von kritischer und selbstkritischer Auseinandersetzung, sondern auch von ambivalenter wie ironischer Standortbestimmung geprägt. Seine Auseinandersetzungen sind von grosser Aktualität, da er sich mit Themen beschäftigt, die in unserer mediatisierten Gesellschaft omnipräsent sind und in erschreckender Weise zunehmend das öffentliche Bewusstsein, und somit auch deren Meinung, beherrschen. Dabei sucht Duyvendak stetig die Grenzen der Gattungen zu durchbrechen und zu überschreiten, das Publikum mit Interaktionen und Fragen zu destabilisieren und aus den vorgebahnten Pfaden andere Wege zu bestreiten, um auf Hinterwegen den Sinn nochmals zur Diskussion zu stellen.

In diesem Sinne ist auch eine seiner jüngsten Performances zu verstehen, SOS (save our souls) (2010), die alle Teilnehmer dazu bringt, sich selbst wie auch den anderen zu seiner Position am Ort, in seinem Lebensalltag und somit auch Lebensglück zu befragen. Eine Weiterentwicklung Duyvendaks performativ-theatralischer und zugleich politischer Auseinandersetzungen findet sich in Please, Continue (Hamlet) (2012), indem er den Theatersaal als Gerichtssaal und Ort der Politik inszeniert, wie dies in der griechischen Antike selbstverständlich war. Ausgehend von einer realen Situation (Mord am Vater der Freundin) wie zugleich in der Tradition der Tragödie wird dem Mörder der Prozess gemacht, wobei Richter, Kläger und Verteidiger keine Schauspieler sind, da sie in Wirklichkeit denselben Beruf ausüben, der im speziellen Fall im Theatersaal inszeniert und im Rahmen von Gerichtsbarkeit und Publikum von Neuem evaluiert.

Im Schnitt entwickelt der Künstler seit 1995 etwa eine Performance pro Jahr, die er in verschiedenen Institutionen und bei diversen Anlässen immer wieder aufführt und den Gegebenheiten und Entwicklungen entsprechend adaptiert. Yan Duyvendak plant die Choreographie und Intention seiner Performances in präziser Weise und hält dies jeweils in schriftlicher Form fest, wobei er sich stets eine Offenheit für die Improvisation und Weiterentwicklungen, so auch die Interaktion mit dem Publikum, ermöglicht.

Die Performances bilden den zentralen Teil seines stetig anwachsenden Oeuvres. Eine Vielzahl entstehen in Kollaboration mit weiteren Kulturschaffenden, wie mit der Schriftstellerin und Dramaturgin Nicole Borgeat, auch in gemeinsamer Autorenschaft, der Künstlerin,Tänzerin, Performerin und Choreographin Alexandra Bachzetsis oder dem Künstler, Performer und Schauspieler Omar Ghayatt, dem Schauspieler Imanol Atorrasagasti und dem Dramaturgen Roger Bernat. Zugleich führt Duyvendak seine künstlerischen Tätigkeiten in den Medien Zeichnung, Fotografie, Video und Installationen weiter, mittels derer er über die Gegebenheiten in seinem zeitgenössischen Dasein reflektiert - eine Reflexion, die durch Spannung Form erhält.

 

Heute gehört Duyvendak zu den bedeutendsten Performancekünstlern der Schweiz mit internationalem Renommee. Seine Performances finden regelmässig Eingang in bedeutenden Performanceveranstaltungen, wie Soirée Nomade in der Fondation Cartier in Paris (1995), Festival EXIT Helsinki (2001), ART Unlimited in Basel (2002), Museo Reina Sofia Madrid (2003), Biennale Guangju (2004), Image Forum Tokyo (2005), Ménagerie de verre, Paris (2006) Vooruit, Gent (2007), Festival d'Avignon (2008), Theaterspektakel Zürich (2009 / 2013), Comédie de Genève (2010), Festival TheaterFormen, Hannover (2011) sowie Festival a/d Werf, Utrecht (2012).

Duyvendak darf drei Mal den Swiss Art Award entgegennehmen und erhält 2004 den namics-Kunstpreis für Neue Medien. Mehrere Atelierstipendien bringen ihn nach Paris, Berlin und Kairo. 2010 darf Yan Duyvendak die wohl bedeutendste Schweizer Würdigung entgegennehmen: den Prix Meret Oppenheim. Er unterrichtet an der Haute Ecole d'Art et de Design (HEAD) in Genf und ist verantwortlich für die Leitung des Departementes Arts Action.

www.duyvendak.com

Esther Maria Jungo

 

Werke sortiert nach TitelJahr ↑Gattung

Bild Informationen Beschreibung

Yan Duyvendak

Keep it fun for yourself

1995 - 2006

CD-R (Tonstück)

Masse Dauer: 42'36''

Performance

Keep Fun For Yourself (ab 1995) ist eine explizite Aufforderung des Künstlers, sich weiterhin mit sich selbst zu vergnügen. In dieser Gesangsperformance, die am Beginn seiner performativen Karriere steht, widmet sich der Künstler den klischierten Vorstellungen über die Kunst und den Künstler, die sich im Lied seit der Romantik bis heute... [ Weiter ]

Yan Duyvendak

L'Oeil pour l'oeil

2002-2002

DVD, Pal, Farbe, Ton

Masse Dauer: 06':00''

Video

Am 11. September 2002, ein Jahr „danach", nimmt Duyvendak Bilder und kurze Filmausschnitte von verschiedenen TV-Stationen auf. Das Verschwinden der Twin Towers als machtvolles Symbol des kapitalistischen Westens und die fundamentale Veränderung der Gesellschaft aufgrund dieser Attentate drängen den Künstler dazu, nach dem zeitgenössischen Zustand unserer Gesellschaft... [ Weiter ]

Yan Duyvendak

You Invited Me, Don't You Remember?

2002

Betacam SP (Sony), Farbe, mit Ton

Masse "Dauer: 22'20"""

Performance

Der 11. September 2001 hat die Welt erschüttert und verändert - sie ist härter, grausamer, absurder geworden, so Duyvendak. In dieser Zeit, wo proklamiert wird, dass alle, die nicht für uns sind, gegen uns sind, wo eine Achse des Bösen erkoren wird und als charismatisch-diabolisches Maskottchen Osama Bin Laden figuriert, im Zug dieser weltpolitisch grundlegenden... [ Weiter ]